Migranten in der Gemeinde beachten

– ein Lied in ihrer Sprache singen:

Eine Zeit lang sangen wir in unserem Gottesdienst neben deutschen mehrere englische Lieder, obwohl wir keinen Besuch aus England hatten. Da junge Menschen in der Schule Englisch-Unterricht haben und viele diese Lieder mögen, ist es ja auch berechtigt. Doch warum nicht auch einmal ein Lied oder eine Strophe in der Sprache von Migranten lernen und anstimmen, die tatsächlich anwesend sind: z.B. in Spanisch, Türkisch, Rumänisch oder Polnisch?

 

Einspruch?

Manch einer denkt sich: „Die sind hier in Deutschland! Warum sollte ich mich denen anpassen, die sollen sich doch uns anpassen. Warum sollte ich ihre Eigenheiten verstehen lernen, die sollen hier…!“
Lassen Sie uns nicht vergessen: Wir sind Brückenbauer, beachten die andere Kultur, machen uns die Mühe, helfen ihnen, unser System hier zu verstehen. Wir versuchen, sie zu verstehen, um ihnen den Übergang zu erleichtern. Auch wenn ich Dinge wie Zwangsheirat ablehne, muss ich doch zuhören und verstehen. Die Menschen achten, aber falsche Verhaltensweisen nicht gut heißen.

 

Erfahrungen, wie Migranten geachtet oder nicht beachtet wurden

Beim Kinderarzt:

Eine mir bekannte Migrantin erzählte mir, wie sie zum Kinderarzt gehen wollte und beim Eingang mit einer deutschen Frau zusammen traf. Offensichtlich war diese Person verärgert über Ausländer und fing an zu schimpfen. Ehe sich meine Bekannte versah, kriegte sie auch noch eine Ohrfeige von der wütenden Frau. Der Streit setzte sich bis in die Arztpraxis fort.

 

Bei der „Tafel“:

Meine Bekannte, im vorderen Orient geboren und aufgewachsen, geht hier zur „Tafel“, um für ihre Familie Lebensmittel zu holen. Dabei macht sie ganz unterschiedliche Erfahrungen. Die Tafel ist eine Initiative von ehrenamtlichen Helfern und verschiedenen Geschäften, die übrig gebliebene Lebensmittel an bedürftige Menschen verteilen. Jede Person oder Familie wird einer Gruppe zugeteilt und kann der Reihe nach zu den Ständen gehen, an denen die Lebensmittel und andere Dinge verteilt werden. Nun erlebt meine Bekannte, dass sie von manchen dieser ehrenamtlichen Mitarbeiter wie eine Kundin bedient wird, was ihr wohl tut. Andere Mitarbeiter jedoch lassen sie so richtig spüren, dass sie eine Person zweiter Klasse ist. Da fühlt sie sich sehr erniedrigt.

 

Migranten beachten und Kontakt aufnehmen:

Ein Hesse fragt nach: Ein junger Deutscher trifft einen türkischen Mann mit Gipsverband um den Arm. Der Deutsche spricht ihn an nach dem Motto: „Was ich sehe, danach frage ich, wie es die Hessen halt tun. Jemand mäht z. B. den Rasen: „Ja, Herr, Nachbar, mal wieder Rasen mähen heute, wah?“ So fragt er den Mann mit Gips: „Sie haben ja den Arm im Gips?!“ und es ergibt sich ein kurzes Gespräch. – Einige Zeit später verteilt der Deutsche christliche Kalender an der Haustür, und der Mann mit Gips sagt zu seiner Frau: „Schau, das ist der Mann, von dem ich dir erzählt habe, der so freundlich zu Ausländern ist.“

 

Im Bus neben einer stark verschleierten Frau:

Eine deutsche Frau steigt in einen sehr gut besetzten Bus ein. Einige Leute stehen. Neben einer stark verschleierten Frau (nur die Augen sind zu sehen) ist noch ein Platz frei. Die deutsche Frau fragt die Muslimin, ob sie sich setzen darf und lächlt ihr freundlich zu. Nach einer Weile fragt sie (auf Deutsch): „Aus welchem Land kommen Sie?“ – „Aus der Türkei“, ist ihre Antwort. „Wie lange sind Sie schon in Deutschland?“ fragt die Deutsche. „Sieben Jahre,“ sagt die Türkin. Noch ein paar Fragen bezüglich Familie schließen sich an… Offensichtlich tut es dieser Frau wohl, in ihrer „Verhüllung“ als Mensch wahrgenommen zu werden. – Es scheint, dass andere eher Hemmungen hatten, sich neben sie zu setzen…

 

Mutig in der S-Bahn:

Ein Christ setzt sich bewusst zu einem Sikh mit Turban. Er fragt ihn: „Sie sind wohl Sikh, oder?“ – „Ja,“ und dann entwickelt sich ein nettes Gespräch, in dem der Sikh ca. 20 Minuten lang redet: über die Geschichte der Sikh, ihren Glauben, dass sie nicht an den Teufel, Engel und eine unsichtbare Welt glauben, sondern an den Menschen, an einen Gott, dass man ohne Alkohol, Rauchen und Rauschgift leben sollte. Der Mensch könne sich anstrengen zum Guten, zweimal täglich beten. Seiner Aussage nach gibt es ca. 5-6.000 Sikhs in Frankfurt… Der Christ erzählt nun auch ca. 5 Minuten über den christlichen Glauben, dass Menschen es aus christlicher Sicht nicht schaffen, so zu leben, wie es Gott gefällt. Sie sind schon verloren und brauchen Gottes Eingreifen von außen… Der Sikh lächelt darüber, scheint es aber von seiner Lebenserfahrung her durchaus zu verstehen.

 

An der Bushaltestelle:

Eine Frau erzählt: „Ich komme zur Bushaltestelle. Da sitzt eine Frau. Ich hatte sie kurz vorher schon einmal gesehen mit ihrem langen Überwurf, langen Hosen und Schleier. Ich vermutete, dass sie aus Pakistan kommt. – Es ist vier oder fünf Tage nach den ersten Meldungen über die verheerenden Überschwemmungen in Pakistan. Ich setze mich neben sie und bete um Weisheit. Dann frage ich: „Kommen Sie aus Pakistan?“ „Ja,“ sagt sie. „Ist jemand von ihrer Familie von der schrecklichen Flut betroffen?“ frage ich weiter. „Nein, GOTT sei Dank nicht; aber für das ganze Land ist es sehr schlimm – jetzt, wo die Terroranschläge ein wenig nachgelassen haben“, antwortet sie. Im Weiteren lässt sie mich wissen, dass bei einem Anschlag auf eine Moschee auch ihr 19-jähriger Neffe umgekommen ist. Hintergrund des Anschlags ungeklärt! Ich drücke mein Bedauern darüber aus. Dann sage ich noch: “Ich freue mich und danke Gott mit Ihnen, dass Ihre Familie von den Überschwemmungen nicht betroffen ist. Im Übrigen ist die Not natürlich sehr groß…“ Ihr Bus kommt. Beim Abschied merke ich, dass das teilnehmende Fragen ihr offensichtlich sehr wohl getan hat.“

 

Trotz ungewöhnlicher Kleidung:

Unser Mitarbeiter sieht einen Pakistani auf dem Weg zum Parkplatz. Der 18-jährige Pakistani ist schnellen Schrittes unterwegs, mit langem Gewand und Wallfahrtskappe. Der Christ spricht ihn an: „Hallo, unterwegs? Zur Moschee?“ – sehr erfreut kommt der junge Pakistani abrupt zum Stehen: „Ja, da geh ich hin….“ Ein kurzes Gespräch folgt, in dem der eine den anderen wahrgenommen hat und die Anonymität gewichen ist. Einfach nur eine nette Begegnung, trotz islamischer Kleidung, die zunächst einmal abstoßend wirkte. Beim nächsten Mal kann es im Gespräch schon weiter gehen, so Gott will, und sie sich wieder treffen sollten.

 

Eine Zeitung als Brücke:

Herr B. setzt sich im Bus ganz hinten hin, wo auch viele jugendliche Migranten sitzen. Er schlägt bewusst eine englische Zeitung auf, um sie neugierig zu machen. Sie schauen tatsächlich interessiert in die Zeitung, und er kommt mit ihnen ins Gespräch.

 

Solch ein schöner Kalender!

In unserem Dorf gibt es ein türkisches Geschenk-lädchen. Die Inhaberin ist sehr freundlich und gesprächig. Ich kaufte hin und wieder bei ihr ein, dabei erzählte sie mir unter anderem von ihrer krebskranken Schwester, die sie öfter zu Hause in der Türkei besuchen müsse. Zum Jahreswechsel nutzte ich die Chance und schenkte ihr zwei Kalender, einen für sie und einen für ihre Schwester, in Geschenkpapier verpackt. Sie war über die Päckchen erstaunt und freudig überrascht. Zu Hause erst geöffnet, rief sie spontan an und bedankte sich mit den Worten „so einen schönen Kalender habe ich noch nie gehabt, nun weiß ich auch die türkischen Feiertage.“ Ich hoffe, dass sie auch vom eigentlichen Inhalt des Kalenders profitiert.
Kürzlich hat ein Döner-Imbiss eröffnet, der auch von jungen Leuten aus unserer christlichen Gemeinde gerne besucht wird. Seitdem ich die leckere Pizza dort kennen gelernt habe, gehe ich öfter für einen kleinen Imbiss hin, mal allein oder mit Bekannten. Das junge Team dort kennt uns mittlerweile, und es entsteht eine herzliche Atmosphäre. Kürzlich kam es zu einem persönlichen Gespräch. Einer aus dem Team der Imbissstube setzte sich mit an den Tisch, erzählte aus seiner Familie und bat uns, doch einfach mal so auf einen Tee rein zu kommen, auch ohne unbedingt etwas zu essen, er unterhalte sich so gerne mit älteren Leuten. Mein Wunsch ist, im passenden Moment auch dort einen türkischen Kalender zu verschenken.

 

Orientierung 2010-04; 25.09.2010

Sie dürfen diesen Artikel frei kopieren unter Angabe der Herkunft: www.orientdienst.de