Aleviten: anpassungsfähige Muslime

Türkische Aleviten sind Muslime, die sowohl in ihrem Glauben als auch in ihrer Lebenspraxis sehr anpassungsfähig sind

 

Aleviten haben eine Mischreligion aus Islam, Christentum, Hinduismus, Neoplatonismus, Manichäismus und Schamanismus. Manche Alevitengruppen bestehen darauf, sich als Muslime zu bezeichnen, andere sehen im Alevismus bereits eine eigene Religion. In der Türkei versucht das sunnitische Religionspräsidium, diese Gruppe zu sunnitisieren und sie von ihrem eigenen Weg abzubringen. Dazu werden sunnitische Imame als Islamlehrer in den Moscheen der alevitischen Dörfer und Wohngebiete angestellt. Ungefähr 15-30 % der Türken sind alevitische Muslime. Die ungenaue Zahl ergibt sich aus dem Versuch der Türkei, die wirkliche Anzahl der Aleviten in der Türkei zu verschleiern.
Aleviten sind die „liberalen“ Muslime. Seit Generationen mussten sie unter Repressalien leiden und verabscheuen Gewalt und Unterdrü-ckung auch Andersgläubiger. Aleviten brauchen keine Moschee, kein fünfmal tägliches Gebet und fasten nicht im Ramadan. Sie treffen sich manchmal in ihren eigenen Versammlungshäusern und versuchen, durch mündliche Tradition, Gedichte und mystische Tänze ihren Glauben zu bewahren und weiter zu entwicklen. Seit dem 13. Jahrhundert hat sich der Alevismus ganz unterschiedlich ausgeprägt. So enstand bei manchen Alevitengruppen die Lehre, dass Allah eins ist mit Mohammed und Ali, eine Art Trinität. Dabei ist das alevitische Gottesverständnis sehr flexibel. So lehren manche, dass alle Menschen bereits ein Teil von Gott sind, ja Gott selbst seien, ein anderer Teil spricht von der unpersönlichen Kraft, die Gott ausmachen soll. Auch hinduistische Elemente wie die Wiedergeburt können Glaubensinhalt sein, z.B. als Käfer, wenn ein Mensch sich falsch verhalten hat und degradiert wird. Alle Nationen der Menschheit werden als gleichwertig angesehen und deshalb geht es laut Alevismus darum, mit jedem Menschen friedlich und harmonisch zusammenzuleben. Im Gegensatz zu sunnitischen Muslimen fürchten Aleviten Gott nicht, sondern wollen ihn und die Menschen lieben.

 

Zur Zeit ist zu beobachten, dass alevitische Denker in Deutschland versuchen, einen Minimal-Alevismus als Lehre schriftlich zu fixieren, um diesen auch im alevitischen Religionsunterricht, der z. B. bereits in Berlin und Baden-Württemberg mancherorts vorhanden ist, alevitischen Kindern nahe zu bringen. Dabei erweist sich der Alevismus als flexibler Islam, der sich völlig an die demokratisch-freiheitliche westliche Kultur mit ihrem Toleranzverständnis anpassen kann. Ja, in manchen Veröffentlichungen und Vorträgen gibt er sich sogar als der Heilsbringer, der die Versöhnung des Westens mit dem Islam fordert. Der Alevismus betont die Glaubensfreiheit des Einzelnen. Diese Freiheit findet aber oftmals ein jähes Ende, wenn Aleviten merken, dass Christen sie trotz ihrem Bekenntnis zur Glaubensfreiheit zum rettenden Glauben an den einzigen Erlöser Jesus Christus einladen. Dieser Absolutheitsanspruch der Christen widerspricht ihrem allumfassenden Toleranzdenken, das im Zentrum des alevitischen Glaubens alles bestimmt. Obwohl der Alevismus selbst bisher keine aktive Missionsarbeit betreibt, will er doch allen Menschen die beste aller Religionen anbieten. Mischehen mit Christen werden aber im allgemeinen geduldet. Es bleibt abzuwarten, wie er sich weiterentwickeln wird.

Orientierung 2009-04; 15.09.2009

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