… in Koran und Bibel
Den meisten Muslimen ist Abraham (Arabisch: Ibrahim) als ein wichtiger Prophet bekannt. Was der Koran über ihn erzählt, reicht sicher nicht aus als gemeinsame Glaubensgrundlage für Juden, Christen und Muslime. Die Aussagen über ihn können aber eine gute Brücke sein, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Wir wählen hier als ein Beispiel dafür die Berichte über Abrahams Fürbitte für Sodom in Bibel und Koran.
Ankündigung der Geburt Isaaks
In beiden Büchern wird zuvor erzählt, dass Abraham die Geburt seines Sohnes Isaak angekündigt wurde: Sure 11,69-73 und 1 Mose 18,1-15. Auch das Lachen Saras wird erwähnt (Sure 11,71). Zwei Abweichungen des koranischen Texts vom biblischen sind jedoch bemerkenswert:
1) Es kommen nur Gesandte zu Abraham (Sure 11,69), nicht Gott, der HERR, selber (1 Mose 18,1).
2) Die Männer essen nicht (Sure 11,70 im Unterschied zu 1 Mose 18,8: „und sie aßen“). – Augenscheinlich soll eine zu große Nähe von göttlicher und menschlicher Sphäre vermieden werden. Wer aber Gastfreundschaft nicht annimmt, verweigert nach orientalischem Denken Gemeinschaft; er könnte in feindlicher Absicht gekommen sein. Deshalb fürchtet sich Abraham vor ihnen, aber sie beruhigen ihn.
Abrahams Fürbitte
Der Koran skizziert anschließend Abrahams Fürbitte für Sodom in drei Versen (Sure 11,74-76 – Übersetzung von Rudi Paret): Und als der Schrecken von Abraham gewichen und die frohe Botschaft zu ihm gekommen war, begann er mit uns über die Leute von Lot zu streiten (in der Absicht, die Strafe von ihnen abzuwenden). 75 Abraham war mild, empfindsam und bußfertig. 76 (Die Gesandten sagten:) ‚Abraham! Lass davon ab! Die Entscheidung deines Herrn ist nun einmal eingetroffen, und eine unabwendbare Strafe wird über sie kommen.’
Der biblische Bericht (1 Mose 18,16-33) ist sehr viel ausführlicher. (Da wir ihn hier nicht abdrucken können, bitten wir Sie, ihn in der Bibel oder in der ausführlicheren Fassung dieses Artikels auf unserer Homepage nachzulesen.)
Die auffälligsten Unterschiede des biblischen gegenüber dem koranischen Text sind:
- Nicht Abraham begann das Gespräch über Sodom, sondern der HERR sprach das Thema an (1 Mose 18,20f) b)
- Nach dem ursprünglichen biblischen Text blieb der HERR sogar noch vor Abraham stehen (V. 22) – als ob Er auf Abrahams Reaktion warte.
- Abraham ging es zwar gewiss auch um Lot und seine Familie. Sein Hauptanliegen scheint aber Gottes Gerechtigkeit gewesen zu sein: dass Er nicht „den Gerechten mit dem Ungerechten wegrafft“ (V. 23-25).
- Abrahams Fürsprache wurde nicht sofort abgewiesen mit einem Hinweis auf eine bereits getroffene Entscheidung. Stattdessen ging der HERR mit offensichtlicher Bereitwilligkeit sechs Mal auf Abrahams demütige Bitten ein.
- Das ganze Gespräch betont weniger die Unabwendbarkeit von Gottes Entscheidungen als Seine Gerechtigkeit gepaart mit großer Vergebungsbereitschaft und Geduld. Die wiederholte Aussage „Ich will nicht vernichten“ (V. 28, 31 und 32) klingt bereits wie ein später offenbartes Wort Gottes: „Sollte ich wirklich Gefallen haben am Tod des Gottlosen, spricht der Herr, HERR, nicht vielmehr daran, dass er von seinen Wegen umkehrt und lebt?“ (Hes 18,23)
Diese Unterschiede sind nicht nur damit zu erklären, dass der Koran eine „Kurzfassung“ des biblischen Berichts enthalte. Vielmehr wird deutlich, dass beide Texte in sehr unterschiedlicher Weise über Gott reden. Im Koran wird Gottes Distanz betont: Er redet nur durch seine Gesandten mit Abraham. Der biblische Bericht schildert Gottes persönliche Zuwendung: Er setzt sich als Gast an Abrahams Tisch und lässt sich bewirten. Statt „Unterwerfung“ unter seine bereits gefällte Entscheidung zu fordern, sucht Gott nach dem Zeugnis des Alten Testaments das Gespräch mit Abraham und geht geduldig auf dessen Bitten ein.
Je nach Interesse des muslimischen Gesprächspartners sind zwei unterschiedliche Gesprächsansätze möglich:
1) Der koranische und der biblische Text können nebeneinander gelesen und miteinander verglichen werden: Wie wird jeweils der Verlauf der Fürbitte erzählt? Was sagt das über das Verhalten Abrahams? Wie wird das Verhalten Gottes geschildert? Anhand der Unterschiede können wir Hinweise geben auf einige Merkmale des biblischen Gottesverständnisses: Seine Nähe zum Menschen, Seine Bereitschaft zum Gespräch, Seine große Bereitschaft zur Vergebung…
2) Wir können unseren muslimischen Gesprächspartner fragen, ob er die Geschichte von der Fürbitte Abrahams für die Stadt Sodom kennt und anbieten, ihm zu erzählen, wie die Bibel dieses Ereignis wiedergibt. Auch hier können wir wieder Hinweise geben auf das biblische Gottesverständnis und – je nach Gesprächsverlauf – Mut machen zum vertrauensvollen Gespräch mit Gott oder zur Umkehr von verkehrten Wegen und persönlicher Zuwendung zu Gott, weil Gott ja gerne bereit ist zu vergeben.
Ausgehend von dieser biblischen Geschichte können wir auch von Jesus Christus erzählen, in dem Gott uns Menschen wirklich ganz „menschlich“ begegnet. Anknüpfend an Abrahams Fürbitte können wir des Weiteren hinweisen auf den, der noch stärker als der alttestamentliche „Glaubensvater“ für uns Sünder eintritt. Jesus Christus legt ja nicht nur mit Worten Fürbitte für uns ein, sondern er hat nach Gottes Willen mit seinem Leiden und Sterben die Strafe für unsere Sünden getragen. Gott will nicht, dass uns eine „unabwendbare Strafe“ trifft – die wir sehr wohl verdient hätten! Gott hat in Jesus Christus alles getan, damit wir Vergebung erhalten – und Gewissheit der Vergebung empfangen können.
Dieser Artikel erschien in Orientierung: M #spezial, Ausgabe 20-2