Mehr als „nur 'mal reinschau'n”

Wie sieht Gastfreundschaft nach der Bibel aus? Das Beispiel Lot zeigt, Gastfreundschaft ist mehr als bewirten und beherbergen.

 

In den Schriften des Neuen Testaments werden wir an vielen Stellen aufgefordert, Gastfreundschaft zu gewähren. Zum Beispiel im 1. Petrusbrief 4,9: „Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren!” Oder in Römer 12,13: „Pflegt die Gastfreundschaft!” Zu den Zeiten der Apostel waren es zum einen die Verkündiger des Evangeliums, für die es auf ihren Reisen eine große Hilfe war, von den Gläubigen beherbergt und versorgt zu werden (vgl. 3. Joh. 5-8). Aber auch für verfolgte Christen war es überlebens-notwendig, bei Mitchristen Unterschlupf zu finden. In seiner Schilderung des Endgerichts identifiziert Jesus sich sogar selber mit den Fremden, die auf Gastfreundschaft angewiesen sind: „Ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen” (Mt 25,35).

 

Gastfreundschaft „light” oder „super”

Gastfreundschaft kann in der Bibel recht unterschiedlich aussehen und aus verschiedenen Gründen gewährt werden: Da wird Jesus von einem Pharisäer zum Essen eingeladen (Lk 7,36) – vielleicht weil dieser Mann sich gerne noch weiter mit ihm unterhalten will. Seinen Gast besonders zu umsorgen und zu ehren, ist ihm aber offensichtlich nicht so wichtig. Jesus sagt ihm später: „Ich bin in dein Haus gekommen, Wasser für die Füße hast du mir nicht gegeben … Einen Kuss hast du mir nicht gegeben … Mit Öl hast du mein Haupt nicht gesalbt …” (V. 44-46). Eine Frau mit schlechtem Ruf zeigt dem frommen und geachteten Mitglied der Gesellschaft, was man noch alles tun kann, um einen Gast spüren zu lassen, dass er herzlich willkommen ist. – Gastfreundschaft als „Standard-Ausführung” oder als „Luxus-Modell”?

Oder: da sucht jemand nur einen Platz für eine Übernachtung (Richter 19,15); Essen und Trinken für sich selbst und seine Begleiter, Stroh und Futter für seine Tiere hat er selber dabei (V. 18f) – aber er findet fast keine Aufnahme. Andererseits wird Paulus mit seinen Mitarbeitern „genötigt”, ins Haus der Purpurhändlerin Lydia zu kommen und dort – wohl für längere Zeit – zu bleiben (Apg 16,15). Verweigerung eines Minimums an Mitmenschlichkeit oder großzügige Gastfreundschaft aus geschwisterlicher Liebe?

 

Gastfreundschaft und Schutz

Dass es bei Gastfreundschaft um weit mehr gehen kann als um einen gemütlichen Austausch beim Kaffeetrinken, auch um mehr als eine sättigende Mahlzeit oder einen Schlafplatz für jemanden, der auf der Durchreise ist, macht eine Geschichte aus dem Alten Testament (1. Mose 19) deutlich: Der Neffe Abrahams, Lot, sieht zwei Männer nach Sodom kommen und lädt sie ein, in seinem Haus zu übernachten (V. 1+2). Offensichtlich weiß oder ahnt er von vornherein, dass es für sie viel zu gefährlich wäre, auf dem Platz beim Tor der Stadt zu übernachten, und dringt in sie, bei ihm einzukehren (V. 3a). Es ist für ihn selbstverständlich, dass er ihnen nicht nur einen Schlafplatz bietet, sondern sie auch mit Essen versorgt (V. 3b).

Wahrscheinlich hat er aber nicht damit gerechnet, dass sie selbst innerhalb der Mauern seines Hauses nicht in Ruhe gelassen werden. Die Männer von Sodom verlangen von Lot, er solle ihnen seine Gäste ausliefern. In dieser Situation zeigt sich seine Bereitschaft, für den Schutz seiner Gäste alles einzusetzen, was er irgend einsetzen kann.

Goldene Worte: Die missionarische Gemeinde ist nicht von ihrem Erfolg oder Misserfolg geprägt, sondern von Gottes Auftrag. Sie wird nicht durch Statistiken getröstet, sondern durch Gottes Verheißungen.

Was er tut, ist für uns kaum nachvollziehbar. Er wird sich das wahrscheinlich auch nicht in aller Ruhe so ausgedacht haben. Es ist eine Entscheidung aus der bedrohlichen Situation heraus – ein wirklich „verzweifelter Versuch”, seine Gäste mit allen Mitteln zu schützen. Offensichtlich meint er, nur durch Preisgabe seiner Töchter seine Besucher noch retten zu können. Damit gibt er aber eigentlich sich selber preis, auch seine Ehre, als Mann die Frauen seines Hauses nicht schützen zu können. Aber wie sehr ihn das auch bedrücken, wie sehr das sein Herz zerreißen mag: Seine Gäste dem Mob von Sodom auszuliefern, erscheint ihm noch viel schlimmer. Nur aufgrund dieses ungeheuren Drucks greift er zu dieser einzigen „Rettungsmaßnahme”, die ihm einfällt. Wie groß die Pflicht der Gastfreundschaft vor seinem inneren Auge steht, kommt zum Ausdruck in seinen Worten: „Nur diesen Männern tut nichts, da sie nun einmal unter den Schatten meines Daches gekommen sind” (V. 8). Er sieht sich bis zur Preisgabe seiner selbst dafür verantwortlich, dass seinen Gästen „kein Haar gekrümmt wird”.

Gewiss: eine außergewöhnliche Situation in einer fremden Kultur und einer ganz anderen Zeit. Was mich an dieser Geschichte bewegt, ist zum einen der biblische Einblick, was Gastfreundschaft unter Umständen bedeuten kann (für einzelne konnte Gastfreundschaft ja auch etwa zur Zeit des Nationalsozialismus in ähnlicher Weise zu einer Bedrohung für sie selber und ihre Familie werden) – und mit welchem Einsatz dieser „alte Orientale” für den Schutz seiner Gäste kämpft.

Zum anderen macht sie deutlich, dass Gastfreundschaft auch bedeutet, einen Schutzraum zu gewähren. Wenn wir unsere Türen für Ausländer öffnen und ihnen mit Freundlichkeit begegnen, kann das für viele von ihnen so etwas bedeuten wie ein Schutz vor dem kalten Wind der Ablehnung, den sie immer noch (und manche nicht selten) zu spüren bekommen.

Gastfreundschaft ist nicht eine nette Nebensächlichkeit, sondern so nötig wie Essen für Hungrige, Kleidung für Nackte und Besuche bei Kranken. Jesus selber hält sie für so wichtig, dass er darauf achtet: „Ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen” (Mt 25,35).

 

Orientierung 2002-05; 15.02.2000…

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