Die Schmach bricht mir mein Herz

Wie viel ist uns die Ehre wert? – Unsere eigene Ehre, die Ehre unserer Mitmenschen, Gottes Ehre?
Ist Ehrverlust etwas Schlimmes?
Achten wir den Wert der Ehre hoch genug?

 

In den Psalmen lesen wir immer wieder, dass Menschen klagen über Verachtung, Hohn, Spott und Schande. Aber können wir wirklich nachvollziehen, wenn da jemand betet: „Die Schmach bricht mir mein Herz und macht mich krank”? (Ps 69,21 – Luther, 1984)

Manche mögen sagen: „Wenn andere schlecht über mich reden, das juckt mich nicht.” Wer allerdings zur Erfüllung seiner Aufgaben auf Achtung und Vertrauen in der Öffentlichkeit angewiesen ist, wird das sicherlich anders sehen. Auch wer einmal eine Rufmordkampagne gegen sich oder Freunde miterlebt hat, weiß aus Erfahrung, so etwas kann tatsächlich krank machen.

Es mag eine Hilfe sein, üble Nachrede nicht so wichtig zu nehmen – sofern man nicht übersieht, was für zerstörerische Auswirkungen sie hat, und solange man sich nicht daran beteiligt in der fälschlichen Meinung, ein bisschen Tratsch sei ja nicht so schlimm. Ich habe allerdings das Empfinden, dass wir für unser Zusammenleben wieder lernen müssen zu verstehen, wie wichtig es ist, einem Menschen nicht die Ehre zu rauben.

 

Ehre in der Bibel, zu anderen Zeiten und in anderen Kulturen

Meiner Beobachtung nach spielen in der Bibel Ehre und Schande eine viel größere Rolle als in unserem heutigen Denken. Achten Sie doch beim Bibellesen einmal darauf, wo und wie oft von Ehre, Ehrfurcht, einem guten Ruf, oder andererseits von Schmach, Scham, Beschämung, schamrot werden, Hohn, Lästerung und ähnlichem die Rede ist! Das kann helfen, einige biblische Aspekte neu zu entdecken oder tiefer zu verstehen.

Auch zu anderen Zeiten kam der „Ehre” ja ein viel höherer Stellenwert zu: Im 19. Jahrhundert konnte jemand, der beleidigt worden war, sich gezwungen sehen, seinen Gegner zum Duell herauszufordern, um seine Ehre wiederherzustellen (vgl. z.B. Th. Fontane: Effi Briest). Personen, die sich als Versager empfanden, hielten die Schande für unerträglich und setzten ihrem Leben ein Ende. Frauen, deren Ruf durch Verleumdungen beschmutzt worden war, sahen in ihrer Verzweiflung darüber keinen anderen Weg, als ins Wasser zu gehen. – Ich will keineswegs behaupten, dass solche Verhaltensweisen die richtigen Reaktionen auf Ehrverletzungen seien. Solche geschichtlichen Erinnerungen können uns jedoch helfen, unsere Bewertung von Ehre nicht für die einzig mögliche zu halten, oder zu meinen, alle Menschen müssten Scham oder Schamlosigkeit in gleicher Weise empfinden wie wir heute.

Wenn das mehr bedacht würde, käme es bei uns nicht so oft zu solchen (wie mir scheint) übereilten und oberflächlichen Urteilen über orientalische Menschen und ihren Umgang mit Ehre und Schande. Als Christ kann ich die so genannten „Ehrenmorde” in keiner Weise billigen. Ich wünschte mir aber in unserer Gesellschaft und vor allem unter Christen etwas mehr Verständnis dafür, dass es für Menschen aus dem Orient wichtig ist, ihre Ehre und die Ehre ihrer Familie zu bewahren. Die Ehre der Familie vor allem in der Unbescholtenheit der Frauen verankert zu sehen und die Ehre z. T. durch Zwang oder Gewalt bewahren oder wiederherstellen zu wollen, halte ich nicht für angemessen. Ich kann es aber gut verstehen und nachvollziehen, wenn Menschen sich von der Schamlosigkeit unserer nachchristlichen Gesellschaft abgestoßen fühlen und sich davon distanzieren wollen. – „Ehre und Schande” und was die Bibel dazu sagt, wäre sicherlich ein Thema, über das wir mit Muslimen gut ins Gespräch kommen könnten (und wo uns Menschen aus dem Orient vielleicht sogar helfen könnten, biblische Maßstäbe zurück zu gewinnen).

Während wir einerseits ermahnt werden, „so gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: … Ehre, dem die Ehre gebührt” (Röm. 13,7), zeigt das Johannes-Evangelium uns andererseits auf, es kann für das geistliche Leben hinderlich sein, Ehre von Menschen anzunehmen oder gar danach zu streben (Joh 5,44 und 12,42+43).

 

Gottes Ehre

Gott zu ehren, ist jedoch von grundlegender Bedeutung. Im Anfangskapitel des Römerbriefs stellt Paulus es geradezu als die Grundsünde dar, dass Menschen „das Geschöpf verehrt und ihm gedient haben statt dem Schöpfer, der gelobt ist in Ewigkeit. Amen.” (Röm. 1,25) Alle anderen Sünden entstehen daraus, weil Gott die Menschen aus diesem Grund („Darum” – V. 26) dahingegeben hat in schändliche Leidenschaften. Gott nicht zu ehren, stürzt also das Leben von uns Menschen in Unordnung und Verderben.

Die Entehrung Gottes durch uns Menschen erreichte ihren Höhepunkt, als Jesus Christus nach seiner Geißelung von den römischen Soldaten und am Kreuz von den Hohenpriestern, Schriftgelehrten und dem Volk verspottet wurde. Gott hat aber Seine Ehre nicht dadurch wiederhergestellt, die Schuldigen gewaltsam zu bestrafen. Vielmehr nahm Jesus gerade durch sein Sterben am Kreuz zu unserer Erlösung nicht nur unsere Schuld, sondern auch unsere Schande auf sich. – Wenn schon unser Schöpfer höchste Ehre und Ruhm verdient hat, wie viel mehr ist Er als unser Erlöser es wert, dass wir Ihm danken, Ihn ehren und anbeten?!

Indem Jesus aus Liebe zu uns unsere Schuld und Schande auf sich genommen hat, zeigt er uns auch eine ganz neue Möglichkeit, mit Entehrung und Demütigung umzugehen. Paulus hat für seinen Dienst von Jesus gelernt; er schreibt einmal: „in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: … in Ehre und Schande” (2.Kor 6,4+8). Auch wo wir es in Liebe ertragen, um des Evangeliums willen verspottet zu werden, wird unser Vater im Himmel geehrt.

Orientierung 2002-05; 15.02.2000…

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