Welche Gesichtspunkte sollten Christen in Bezug auf muslimische Kinder und Jugendliche beachten?
Viele der erwähnten Punkte sind vor allem für türkische Muslime gültig, aber auch für Muslime aus anderen Herkunftsländern.
Vorrangstellung der Männer
Männer sind im Islam den Frauen vorgeordnet. Aber in Deutschland sind oft die Muslima die erfolgreicheren. Auch wenn die Mädchen häufig besser Deutsch sprechen als die Jungen, sollten wir diese nicht vernachlässigen oder übergehen. Sie brauchen sogar in mancher Hinsicht eine besondere Art von Zuwendung, damit sie ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen können.
Das eingebrochene Selbstvertrauen: in islamischen Ländern sind Jungen und Männer etwas wert, auch ohne zu arbeiten. Hier in Deutschland zählt vor allem die Leistung, um Anerkennung zu finden. Nicht erfolgreiche Männer werden deshalb abgewertet, was oft in Depressionen endet. Deshalb sollten wir gerade die Jungen ermutigen und ihnen helfen, schulisch voranzukommen.
Wir sollten ihnen vor einer Gruppe Anerkennung zukommen lassen.
Wenn wir den natürlichen Leiter der Gruppe gewinnen, folgen die anderen meist problemlos.
Wenn sich ein männlicher Jugendlicher oder ein Mann in seiner Ehre gekränkt fühlt, fällt es ihm schwer zu vergeben. Lösung bietet oft ein Vermittler, bzw. die gebotene Versöhnung bei einem religiösen Feiertag: Fastenbrechen oder Opferfest. – Am Beispiel von Jesus Christus können wir aufzeigen, wie Vergebung und Versöhnung möglich sind.
Die Männer sollten traditionell tagsüber immer außerhalb der Wohnung sein. Das ist eine Möglichkeit, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Besonders männliche muslimische Jugendliche sind für christliche Arbeit deshalb anfangs leichter zu erreichen, da sie herumstreunen und sich ihre Eltern weniger um sie kümmern.
Dagegen dürfen Mädchen das Haus meist kaum verlassen. Es ist ihr Schutzraum. Doch durch die Möglichkeiten der materiellen Unabhängigkeit im Westen kommt es auch in orientalischen Familien verstärkt zum Zerbruch der Familienstrukturen und damit manchmal zu einem grenzenlos freizügigen Verhalten, das die jungen Leute gefährdet. Hier können Christen Orientierung geben.
Viele muslimische Kinder haben es schwer, weil sie zuhause keinen festen Platz haben, an dem sie in Ruhe und konzentriert ihre Hausaufgaben machen können. Ihnen einen solchen Ort und Hausaufgabenhilfe anzubieten, könnte die Aufgabe von Christen sein.
Ein Junge sollte nach islamischem Verständnis stark und heldenhaft sein, die Familie anführen, sich von Frauen nicht gängeln lassen. Er darf sie nach islamischem Verständnis ggf. sogar schlagen. Junge Männer führen sich wie „Paschas“ auf. Deshalb ist es nötig, dass Christen muslimischen Kindern die „anderen“ Regeln beibringen und darauf bestehen, dass sie eingehalten werden.
Begrüßung mit kräftigem Handschlag oder dem traditionellen Wangenkuss, erst links, dann rechts. Das ist wichtig für die Herzlichkeit und Innigkeit einer Beziehung. Küsse sollten nur mit Personen gleichen Geschlechts ausgetauscht werden, um keinen falschen Eindruck zu erwecken.
Der Status wird durch die Kleidung sichtbar. Auch unter deutschen Jugendlichen ist Markenbewusstsein wichtig. Das gilt für beide Geschlechter. Es ist nicht unüblich, dass Second-Hand-Kleidung abgelehnt wird, obwohl kaum Finanzen vorhanden sind.
Kinder in der Familie
Achtung vor zu viel Bewunderung! Es gibt die Angst vor unsichtbaren Geistern, die man durch Lob anlockt und die dem Kind Schaden zufügen könnten. Dazu hängen die Eltern den Kindern einen Talisman um, der den bösen Blick abwenden soll. Ein Segensspruch von christlicher Seite nimmt die Bedenken.
Jugendliche bezeichnet man Türkisch als „delikanlı“, d.h. verrücktes Blut. Sie können sich Dinge erlauben, die man später nicht mehr verzeihen würde. Jugendliche Sünden sind kein Problem. Oftmals wird zu viel geduldet und zu wenig gesteuert. Wegen der Schamkultur heißt es: „Schämst Du Dich denn gar nicht? Was wird Dein Vater, Onkel, großer Bruder dazu sagen?“ Wenn eine Frau von Muslimen „dumm angemacht“ wird, kann sie sagen: „Was würde denn Deine Schwester sagen, wenn jemand sich so benimmt? Hast du denn keine Mutter?“
In der Familienhierarchie steht der Vater an oberster Stelle (nach dem Großvater natürlich). Danach folgt der „abi“ (großer Bruder), dann erst die Mutter und danach die „abla“ (große Schwester). Die bzw. der Älteste übernehmen die Führung in Abwesenheit der Eltern. Wir können daran anknüpfen und sie anleiten, Verantwortung für andere zu übernehmen. Wir können als Gruppenleiter ggf. Bezug auf die Eltern nehmen und ein Gespräch mit ihnen ankündigen (notfalls mit dem Hinweis, dass wir mit ihrem Vater einmal etwas besprechen müssen.)
Gemeinschaft
Alleine zu leben ist für Orientalen sehr schwierig. Sie sind immer auf Gemeinschaft eingestellt. Deshalb verstehen sie uns oftmals nicht, dass wir unsere „Ruhe“ brauchen. Für uns besteht die Gefahr der Überforderung. Deshalb sollten und dürfen wir klare Grenzen setzen.
Krankenbesuche sind geboten. Hier zeigt sich, ob sie uns etwas wert sind, auch durch unsere Teilnahme an den Familien-Feiern: Beschneidung, Hochzeit und evtl. Beerdigung. Doch Vorsicht vor falschem Eindruck, dass wir Muslime werden wollen! Wir bekennen klar: ich glaube an meinen Herrn und Erlöser Jesus Christus.
Schamkultur
Ein evangelistisches Gespräch führen wir besser mit einzelnen als in der Gruppe. Denn sich für den christlichen Glauben zu interessieren, gilt als schändlich und verwerflich. Diese Blöße möchte sich keiner geben. Man würde dadurch sein Gesicht vor der Gruppe verlieren. Wenn nur einer von meinem Interesse hört, dann wissen es alle. Also ist Verschwiegenheit von unserer Seite gefordert!
Die Schamkultur gebietet, eine Person nicht direkt (und vor allem nicht in Gegenwart von anderen) auf ihre Schuld hinzuweisen und sie so bloßzustellen. Außerdem ist es verletzend, jemanden direkt abzuweisen und seine Bitte abzuschlagen. Freundschaft und Freundlichkeit sind wichtiger als die Wahrheit, könnte man überspitzt sagen. Wie verhalten sich Christen dazu? Wir sollten freundlich sein und ein abstoßendes „Nein“ möglichst vermeiden. Es ist aber auch wichtig, wahrhaftig, ehrlich und zuverlässig zu sein. Wenn wir einer Bitte nicht nachkommen können, sollten wir als erstes betonen, wie wichtig uns die Beziehung ist, dann aber auch offen sagen, dass und warum wir die Bitte diesmal nicht erfüllen können – und evtl. noch einmal erklären, dass unser „leider nein“ keine Ablehnung der Person bedeutet.
Buchempfehlung: Necla Kelek, Die verlorenen Söhne, Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes, 8,95 Euro, Paperback. Oder: Die fremde Braut, Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland, 8,95 Euro.
Orientierung 2013-02; 08.04.2013
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