Wer nichts hat, kann nichts geben. Wer keine Liebe hat, wird nichts geben. – Wie kann es nun dazu kommen, dass wir gerne Andere beschenken – auch Muslime in unserer Nähe?
Als ich vor einiger Zeit den Abschnitt 2.Kor 9,8-15 las, „stolperte“ ich über das Wort „überströmen“, das hier dreimal wiederholt wird (in manchen Übersetzungen wiedergegeben mit „überreich“ oder „überschwänglich sein bzw. geben“): „Gott aber vermag auf euch überströmen zu lassen jede Gnade“ (V. 8) – „damit ihr … überströmt zu jedem guten Werk“ (V. 8) – „überströmend durch viele Danksagungen zu Gott“ (V. 12).
Durch diese Formulierungen wurde ich an ein Bild des Brunnens im Kloster Maulbronn erinnert: Der Brunnen besteht aus drei übereinander angeordneten Schalen. Die oberste Schale wird von oben her gefüllt – und gibt überfließend das Wasser an die nächst tiefere weiter, die wiederum sich füllt und überströmt.
Überströmende Gnade
„Eigentlich“ schreibt der Apostel Paulus hier (in 2.Kor 8 + 9) über ein ganz materielles Thema: es geht um eine Geldsammlung für die in Not geratene Gemeinde in Jerusalem (schon 1.Kor 16,1-4). Er formuliert aber so, dass dieses Materielle in Geistliches eingepackt erscheint. Finanzielle Mittel gehören mit zu den vielen Gnadengaben Gottes, wie auch „Glauben und Wort und Erkenntnis und aller Eifer und die Liebe“ (8,7). So können wir seine Aussagen auch auf unser ganzes geistliches Leben übertragen.
Paulus weist uns zunächst auf zwei ganz grundlegende Wahrheiten hin: 1) Alle unsere „Reichtümer“ sind nicht einfach „da“, sondern haben ihre Quelle in Gott. Er ist der Geber aller guten Gaben. 2) Wir empfangen das, was wir haben, aus Seiner Gnade; selbst wenn wir es uns erarbeiten, ist es nicht unser „Verdienst“. Es ist Sein Geschenk, wenn wir Kraft und Geschicklichkeit zum Arbeiten haben – und wenn unsere Arbeit gesegnet ist. Dabei hat die Tatsache, dass wir letztlich alles „aus Gnaden“ bekommen, von Gottes Seite her nichts Erniedrigendes – im Gegensatz zu manch einem Menschen, der mit herablassender, fast verächtlicher Geste sagen kann: „Ich will mal so gnädig sein…!“ Das griechische Wort „Charis“ bedeutet auch „Wohlwollen, Wohltat“. Gott beschenkt uns gerne! Was Er uns schenkt, hat einen „Beigeschmack“ von Liebe und Menschenfreundlichkeit (Tit 3,4). Diese Quelle der Gnade sprudelt für uns und will unsere Schale füllen.
Überreich beschenkt
Gott gibt gewöhnlich nicht kärglich. Er „vermag auf euch überströmen zu lassen jede Gnade“. (V. 8) Paulus betont diese umfassende Fülle, indem er fünf Mal das Wort „alle“ benutzt. Dabei fällt auf: Vier Mal beschreibt das Wort „alle“ die Art, wie Gott für uns sorgt. Er ist bereit, uns mit allem zu beschenken, damit wir in allen Lebensbereichen und zu allen Zeiten alle Genüge (= keinerlei Mangel) haben. Unsere Schale soll wirklich gefüllt werden. So sagt ja auch Jesus Christus selber: „Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Überfluss haben.“ (Joh 10,10)
Überfließend, Gutes zu tun
Erst das fünfte „alle“ in V. 8 spricht von unserem Weitergeben: „… und überströmt zu jedem (allem) guten Werk.“ Als ginge das, wie bei einer Brunnenschale, so ganz natürlich zu: wenn die Schale vollgelaufen ist, strömt sie über.
Wie schön, wenn das so ist! Dann erleben auch andere, dass ihr Mangel ausgefüllt wird (V. 12). Sie können sich mit uns an Gottes Gnade freuen, die auf uns übergeströmt ist und die uns so reich gemacht hat, dass wir davon gerne und fröhlich (V. 7) weitergeben konnten. Ob das, was sie erhalten haben, materielle Hilfe, freundliche Zuwendung, die Einladung zum Glauben an Jesus Christus oder geistliche Ermutigung aus Gottes Wort ist: wenn nur der „Beigeschmack“ von Gottes Liebe und Menschenfreundlichkeit dabei war!
Überströmende Dankbarkeit
Dann wird auch die Schale derer, die von uns Gutes empfangen haben, überströmen: Sie werden froh und dankbar, und weil sie erkennen, dass die Hilfe letztlich von Gott her kam, wird ihre Dankbarkeit „überströmen“ zu Gott (V. 12). So fließt auch etwas von all dem Guten zurück zum ursprünglichen Geber.
Sich füllen lassen
Warum fällt es uns aber manchmal (oder sogar oft?) so schwer, freigebig zu sein mit unseren Reichtümern? Warum fließt nichts oder nur wenig über, obwohl wir so vieles haben? – Eine Erklärung könnte sein, dass wir zumindest zeitweilig nicht in jeder Hinsicht reich sind. Denn wo materieller Reichtum ist (und sogar vermeintlicher geistlicher Reichtum) aber ein armes Herz, fließt nichts über.
Außerdem sind wir nicht einfach steinerne Brunnen, die mechanisch sich füllen und überfließen; als Menschen können wir uns willentlich öffnen oder verschließen – im Weitergeben, aber auch im Empfangen. – Damit wir weitergeben können, ist es nötig, uns zu öffnen, um gefüllt zu werden – vor allem mit Gottes Liebe. Wenn die unsere Herzen ausfüllt, werden unsere Reichtümer „flüssig“. Erneut für die „Heilstatsachen“ zu danken, die wir schon längst kennen, könnte ein solches Öffnen sein und neues Empfangen und Erfülltwerden bewirken.
Gerade die Advents- und Weihnachtszeit ist ein guter Anlass und eine gute Gelegenheit, uns neu für Gottes Liebe zu öffnen und sie auf uns „überströmen“ zulassen. Dann werden sich auch viele Gelegenheiten zeigen, davon an andere weiterzugeben.
Orientierung 2013-05; 27.11.2013
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