Bibel: Der Glaube an die Bücher

Mohammed soll einmal von dem Engel Gabriel gefragt worden sein, was der islamische Glaube beinhalte. Seine im Hadith überlieferte Antwort war: „Der Glaube ist, dass du an Allah, Seine Engel, Seine Bücher, Seine Gesandten, den Jüngsten Tag und die göttliche Vorsehung, das heißt, dass Allah Gutes und Böses zuvor festgelegt hat, glaubst.“ Für Muslime gehört es zu den sechs grundlegenden, absolut verbindlichen Glaubensverpflichtungen, an die Bücher zu glauben, die Allah durch Seine Propheten zu den Menschen gesandt hat. Islamische Theologen vertreten die Auffassung, dass Gott zu verschiedenen Zeiten verschiedenen Völkern jeweils in ihrer Sprache eine heilige Schrift habe zukommen lassen. Ursprünglich sei der Inhalt aller heiligen Bücher im Wesentlichen der gleiche gewesen, und jede spätere Schrift habe die vorherige bestätigt. Zugleich habe allerdings auch die neuere Schrift jeweils die ältere ersetzt. – Manche Muslime reagieren deshalb erstaunt, wenn sie erfahren, dass zur Bibel der Christen außer dem Evangelium auch die älteren Schriften von Mose, David und anderen gehören. Der Sinn der Bücher besteht nach islamischem Verständnis darin, den Menschen den Weg der Rechtleitung zu zeigen und sie vor Irrwegen zu warnen, damit sie im Diesseits und im Jenseits Glück und Wohlergehen erlangen.

Welche heiligen Bücher gibt es?

Der Koran erwähnt „Seiten“ oder „Blätter“ (suhuf) Abrahams (Sure 87,19) und anderer Propheten, die allerdings alle nicht erhalten geblieben sind und über deren Inhalt der Koran auch nichts Näheres mitteilt.

Die Bücher, die im Koran genannt werden und denen nach muslimischen Aussagen große Bedeutung zukommt, sind:

– Die Taurat (Thora) Moses,

– Der Zebur (Psalter) Davids,

– Das Indschil (Evangelium) Jesu und

– Der Koran Mohammeds.

Im Gespräch betonen Muslime gern, dass sie alle Bücher anerkennen, die von Gott offenbart wurden. Sie beziehen sich dabei oft auf Sure 2, 136: „Sprecht: Wir glauben an Gott und an das, was zu uns herabgesandt wurde, und an das, was herabgesandt wurde zu Abraham, Ismael, Isaak, Jakob und den Stämmen, und an das, was Mose und Jesus zugekommen ist, und an das, was den (anderen) Propheten von ihrem Herrn zugekommen ist. Wir machen bei keinem von ihnen einen Unterschied. Und wir sind Ihm ergeben.“

Verfälschung der Schriften

Fragt man allerdings, ob sie also auch z. B. das Evangelium lesen, erhält man in der Regel die Antwort: „Wir glauben an alle Bücher in ihrer unverfälschten Urform. Alle Bücher außer dem Koran sind jedoch leider verfälscht worden. Im Übrigen ist alles Wesentliche im Koran enthalten.“ Weitere Rückfragen, wer denn wann die anderen (biblischen!) Bücher verfälscht habe und welche geschichtlichen Belege es dafür gebe, werden zumeist nur sehr vage oder mit Hinweisen auf die Forschungen neuerer christlicher Theologen beantwortet. Von praktischer Bedeutung ist für Muslime also lediglich der Koran. Für die Christen und Juden selber mögen jedoch – trotz aller angeblichen Verfälschungen – ihre jeweiligen Schriften in gewissem Rahmen verbindlich bleiben.

Das entscheidende Buch: der Koran

Nach islamischer Auffassung wurde der Koran dem Propheten Mohammed durch den Engel Gabriel überbracht. Beginnend mit der Berufung Mohammeds zum Propheten bis kurz vor seinem Tod übermittelte der Engel ihm zu den verschiedenen Offenbarungsanlässen jeweils einzelne Verse oder kurze Suren (Kapitel des Koran), die wortwörtlich mit einer im Himmel aufbewahrten Urschrift (Sure 43,2-4 und 85,21+22) übereinstimmen. Mohammed ließ die jeweils offenbarten Abschnitte von seinen Gefährten aufschreiben und auswendig lernen. Nach seinem Tod wurde der Koran so in Buchform gebracht, wie es Mohammed kurz vorher angeordnet hatte. Die endgültige Festlegung des Korantextes erfolgte durch den 3. Kalifen, Othman, im Jahre 653, 21 Jahre nach Mohammeds Tod. Tatsächlich scheint die Zusammenstellung und Überlieferung des Korantextes allerdings komplizierter gewesen zu sein. Muslime sehen den Koran als Gottes endgültige Offenbarung, die alle anderen Bücher relativiert und korrigiert. Er ist nach ihrer Meinung völlig unverfälscht überliefert worden – und stellt nach Ausdrucksweise und Inhalt ein solches Wunder dar, dass niemand auch nur eine seiner kleinsten Suren nachahmen kann. Nur in seiner arabischen Urform ist er wirklich „der Koran“; Übersetzungen geben lediglich seinen ungefähren Sinn wieder. Eine Untersuchung und Beurteilung des Koran mit Mitteln der Literatur- oder Geschichtswissenschaft ist deshalb für viele gläubige Muslime völlig undenkbar und wird möglichst unterdrückt (vgl. die Prozesse gegen den Literaturprofessor Nasr Hamid Abu Zaid in Ägypten seit 1993). Für den Islam ist der Koran vor allem die Hauptquelle für das islamische Recht – nicht ein „Brief“ Gottes, der den Weg zur Rettung von der Macht der Sünde und zur Gemeinschaft mit Gott zeigt. Den Koran auswendig zu lernen und Korantexte zu rezitieren gilt als sehr verdienstvoll. Koranverse werden auch zur Herstellung von Amuletten und wunderwirkenden „Medizinen“ benutzt.

 

Orientierung 1998-01; 15.02.1998

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