Volksislamische Vorstellungen
„Wenn sich der Todestag eines Menschen nähert, lässt Allah von dem Baum unter seinem Thron das Blatt fallen, auf dem der Name des betreffenden Menschen geschrieben steht.“ Im Augenblick des Todes entzieht der Todesengel Izrâ‘îl dem Menschen seine Seele (arab. rûh bzw. nafs).
Gott hat den Todestag jedes Menschen festgelegt und ruft ihn ins Jenseits ab (56,60-61). Jeder Mensch weiß, dass ihn mit Sicherheit der Tod ereilen wird (21,35). Ist der Tod eines Muslims nahegekommen, vollzieht er nach Möglichkeit noch selbst die rituelle Waschung. Wird er schwächer, wird man vielleicht Korantexte rezitieren, seinen Kopf in Richtung Mekka ausrichten und ihm kurz vor dem Sterben das Glaubensbekenntnis vorsagen, aber damit aufhören, wenn er es selbst wiederholt hat. Das Glaubensbekenntnis sollen seine letzten Worte vor dem Tod sein, denn Muhammad soll gesagt haben: „Wer als letzte Worte vor seinem Tod ‚la ilaha illa llah‘ [Es gibt keinen Gott außer Gott] sagt, betritt den Paradiesgarten“ (al-Islam 2/2000,17).
Nach Auffassung des Volksislam wird der Tote im Jenseits von zwei Grabesengeln, Munkar und Nakir, nach seinem Glauben folgendermaßen befragt werden:
- Wer ist dein Gott?
- Wer ist dein Prophet?
- Was ist deine Religion?
- Wohin zeigt deine Gebetsrichtung?
Nur wenn er diese Antworten weiß und sich mit dem Glaubensbekenntnis zum Islam bekennen kann, wird er über eine Brücke gelangen können, die schärfer ist als ein Schwert und dünner als ein Haar. Gläubige Muslime können sie unbeschadet überqueren und ins Paradies gelangen. Die Ungläubigen stürzen von der Brücke in die Hölle und in das Feuer hinab.
Der Tod
Ist der Tod eingetreten, werden dem Toten (unter Gebet für seine gnädige Aufnahme im Jenseits) die Augen und der Mund geschlossen. Die Totenklage wird angestimmt, jedoch verurteilen viele Theologen Zeichen übermäßiger Trauer wie das Zerreißen der Kleider, das Schlagen an die Brust oder ins Gesicht, da dies als mangelnder Glaube ausgelegt wird. Die Familie, zu der der Tote gehörte, ist nun für drei Tage ein Trauerhaus; eine Witwe darf vier Monate und zehn Tage um ihren Mann trauern. Trauer ist im Islam erlaubt, soll aber nach Meinung der Theologen gefasst und beherrscht, nicht überlaut und hysterisch geäußert werden. Schwarz ist keine Trauerfarbe im Islam. Grundsätzlich gilt auch in dieser Verlustsituation dasselbe wie für andere einschneidende Ereignisse (wie z. B. eine Geburt), dass Nachbarn und Verwandte Hilfe und Beistand leisten und die Trauernden nicht alleine lassen, ja, für die erste Zeit ihre Versorgung übernehmen. Der Tote wird nach aller Möglichkeit von Verwandten desselben Geschlechts gewaschen und parfümiert. Ehemänner können auch von ihren Frauen gewaschen werden, nicht alle Theologen erlauben es umgekehrt. Die Waschung zu unterlassen gilt als Sünde. Daher soll, wenn dieser Umstand bekannt wird, ein nichtgewaschener Leichnam, der bereits im Grab liegt, aber noch nicht mit Erde bedeckt ist, nochmals zur Waschung herausgenommen werden. Nur Märtyrer sollen ungewaschen in ihren Kleidern und ihrem Blut beigesetzt werden. Für die Grablegung wird der Tote in vorzugsweise weiße, in Beschaffenheit, Größe und Anzahl genau festgelegte Leintücher eingehüllt; es kann auch sein Pilgergewand sein, sofern er die Wallfahrt nach Mekka durchgeführt hat. Diese speziellen Stoffe werden von Frauen jenseits der Wechseljahre hergestellt; so ist gewährleistet, dass sie sie nicht im Zustand der rituellen Unreinheit verarbeiteten. Grundsätzlich soll ein Toter so rasch wie möglich für die Beerdigung vorbereitet werden, und die Grablegung soll so bald wie möglich, am besten noch am selben Tag erfolgen. Durch die Berührung eines Toten sowie das Tragen der Totenbahre tritt eine rituelle Verunreinigung ein, die durch eine rituelle Waschung beseitigt werden muss, bevor der Betreffende wieder einen Koran berühren oder das Gebet verrichten kann. Beim Leichnam wird ein Beerdigungsgebet gesprochen, das die Bitte um Vergebung für den Toten einschließt, sowie die Bitte an den Toten, bei Gott Fürsprache für die Lebenden einzulegen. Die Angehörigen bzw. dem Toten Nahestehenden nehmen unter Anleitung eines Qadis oder Imams daran teil.
Die Beerdigung
Nach dem Beerdigungsgebet soll der Leichnam rasch begraben werden. Mit dem Leichenzug wird er zum Friedhof getragen (bei männlichen Toten kann unterwegs in der Moschee für ihn gebetet werden), wobei er auf einem rein muslimischen oder zumindest einem Muslimen vorbehaltenen Gräberfeld beigesetzt werden muss. Es ist eine Ehre, einer der Sargträger sein zu dürfen, auch Passanten an der Straße können den Toten ein Stück des Weges begleiten. Nach der Überlieferung bewirkt das Tragen der Totenbahre Sündenvergebung. Zu diesem Leichenzug gehören traditionell ausschließlich Männer, da die Überlieferung Frauen verbietet, an der Grablegung – und sei es die ihres Ehemannes oder ihrer Kinder – teilzunehmen. Der Tote wird im Grab auf die rechte Seite gelegt und sein Kopf in Richtung Mekka ausgerichtet. Die Anwesenden füllen Erde in das offene Grab und bitten nochmals für ihn um Vergebung, rezitieren Korantexte und belehren den Toten erneut über das Glaubensbekenntnis, damit er in der Lage sein wird, den Grabesengeln Antwort auf die Frage nach seinem Glauben zu geben. Eine Verbrennung ist nicht statthaft, auch nicht auf Wunsch des Toten. Es ist nicht erlaubt, Steine auf dem Grab aufzurichten oder Schmuckelemente anzubringen, natürlich auch kein Kreuz. Nach muslimischer Auffassung darf die Totenruhe nicht mehr gestört werden. Muslimische Gräberfelder dürfen daher nicht nach Ablauf einer bestimmten Frist wiederbelegt werden. Diese Auffassung hat dort zu Konflikten geführt, wo Muslime nicht – wie noch heute die absolute Mehrheit – zur Bestattung in ihr Heimatland überführt, sondern auf einem deutschen Friedhof beerdigt werden, auf dem in jedem Fall eine Wiederbelegungsfrist (in der Regel von 20 bis 30 Jahren) existiert. Möglichkeiten zur rituellen Totenwaschung werden in Deutschland mehr und mehr gewährt. Die sarglose Bestattung war hierzulande fast überall ausgeschlossen. Seit 1. März 2013 sind aber
z. B. in Hessen Bestattungen im Leichentuch gestattet. Bei den anschließenden Beileidsbezeugungen und Besuchen von Freunden, Nachbarn und Verwandten halten sich Männer und Frauen an getrennten Orten auf. Männer werden von Männern und Frauen von Frauen besucht. Frauen werden von Nachbarinnen und Verwandten versorgt, Männer lesen Korantexte und gedenken des Toten. Almosen werden verteilt. Nach einer bestimmten Frist, etwa 40 Tagen nach dem Tod, wird ein Totenmahl für Verwandte und Nahestehende gehalten, an dem manchmal auch das ganze Dorf teilnimmt.
Aus christlicher Sicht
Die Bestattung eines Toten ist im Islam mit zahlreichen Einzelvorschriften verbunden. Beachtet man sie alle genau (Wortlaut des Gebetes, Waschung, vorschriftsmäßige Einhüllung u.v.m.), ist eine Beerdigung durchaus eine komplizierte Angelegenheit. Die Einhaltung der Regeln wird den Ausführenden zum Guten, deren Unterlassung jedoch als Sünde angerechnet. Somit ist es sowohl für den Toten als auch für die Angehörigen „heilsmitentscheidend“, dass alle Vorschriften, die mit der Beerdigung in Zusammenhang stehen, genau ausgeführt werden. Die Frage der Gewissheit der Sündenvergebung für den Toten bleibt jedoch offen; auf Gottes Erbarmen kann man nur hoffen. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments ist die Form der Bestattung ohne Bedeutung für das ewige Heil der verstorbenen Person. Über allem steht die Zusage von Jesus Christus: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben übergegangen.“ (Joh 5,24)
Orientierung 2014-04; 23.11.2014
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