Tauhid – der eine Gott

Fragt man einen Muslim nach dem Kern des Islam, wird er in der Regel mit der 112. Sure (Die Aufrichtigkeit, „al-ichlas”) antworten: „Sprich: ‚Er ist Gott, ein Einziger, Gott, der Absolute, Er zeugte nicht und wurde nicht gezeugt, und keiner ist ihm ebenbürtig.‘“

Diese Einzigkeit Gottes ist zunächst gegen die Vielgötterei, dann aber auch gegen den dreieinigen Gott der Christen gerichtet (Sure 4,171; 5,76; 5,119). Jeder, der an diese Einheit Gottes nicht glaubt, begeht Schirk, die größte Sünde im Islam. „Wer Gott ein anderes Wesen zur Seite setzt, dem verzeiht er nicht“ (4,116). Die Einzigkeit Gottes hat außerdem weitreichende Auswirkungen auf jeden Bereich islamischen Glaubens und Lebens. Die Lehre des „Tauhid” (Einheit oder Einzigkeit) wird als das Proprium des Islam angesehen. Gott habe allen Propheten eine besondere Botschaft gegeben: Abraham die Botschaft, dass es nur einen Gott gibt, Mose die Botschaft des Lebens auf dem geraden Weg in den Geboten, Jesus die Botschaft der Liebe, und dem „Siegel der Propheten“ (Mohammed) eben die Botschaft des Tauhid. Diese Botschaft der Einheit ist es, die alle vorhergehenden Offenbarungen abschließt und zusammenfassend vereint. Wenn Jesus sagte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, zeigt das nach islamischem Verständnis, dass seine Botschaft nicht vollständig war. Das Reich des Islam ist diese Welt und die jenseitige, die sichtbare und unsichtbare Welt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, also ganzheitlich. Der Slogan der sogenannten Islamisten „Der Islam ist die Lösung” findet bei den meisten Muslimen Resonanz, ist er doch Ausdruck des Tauhid: Nicht viele Lösungen für viele Probleme, sondern eine Lösung für alles! Außerdem sei ein Gott logischer als drei in einem. So beschreibt Yusuf Ali in einer Koranausgabe mit englischer Übersetzung und Erklärungen, herausgegeben vom Islamic Center in Washington, dass das Problem der Menschheit darin liege, dass sie von der Einheit Gottes gefallen sei, was Disharmonie, viele Nationen, Sprachen und Gebräuche zur Folge hatte. Doch der Islam habe der Menschheit die Einheit und Harmonie wiedergebracht durch die Botschaft von dem einen Gott.

Am einfachsten lässt sich die Lehre des Tauhid an den 5 Säulen des Islam illustrieren:

Das Bekenntnis (schahada):

Ich bezeuge, es ist kein Gott außer Gott und Mohammed ist der Prophet Gottes” wiederholt nicht nur im Wortlaut den monotheistischen Gedanken und den der Einzigartigkeit Mohammeds (der Prophet, nicht „ein Prophet”), sondern durch die Praxis der Schahada identifiziert sich die Umma, das Volk des Islam. Wer sie spricht, gehört dazu, wer nicht, eben nicht. Alle Muslime sprechen sie in ein und denselben Worten, in derselben Sprache, und selbst wer nicht mehr sprechen kann, erhebt den rechten Zeigefinger (der auf Arabisch „Zeuge“ heißt).

Das Gebet (salah):

Das Gebet zu den festgesetzten Tageszeiten beginnt immer mit dem Bekenntnis zu dem einen Gott und drückt in seinem Vollzug die Einheit der Umma im Gottesdienst aus. Man betet eben nicht irgendwie, irgendwo und irgendwas, sondern auf der ganzen Welt, unabhängig von der Landessprache betet man mit den exakt gleichen Worten, den exakt gleichen Bewegungen, den Verneigungen in eine Richtung (der Kaaba) zur (abhängig vom Sonnenstand) exakt gleichen Zeit, nachdem man die gleichen Waschungen durchgeführt hat. Auch der Umstand, dass der Imam (Vorbeter) nicht über den Gläubigen steht, sondern sich gleichzeitig mit den Gläubigen vor dem einen Gott neigt, drückt den Tauhid in der Anbetung aus, und erfüllt Muslime mit Stolz darüber, dass ihr System dem christlichen mit seiner (vermeintlichen) Hierarchie der Geistlichen überlegen sei.

Oft hört man auch den Vorwurf, dass Christen das Gebet „vergeistlichen”, während das islamische Gebet gleichzeitig geistlich und physisch sei, Anbetung des Geistes mit Gymnastik des Leibes verbunden, weil eben Tauhid eine Trennung von Geistlichem und Leiblichem nicht zulässt. Tauhid sieht Gott als Einheit, die Umma als Einheit, und den Menschen als Einheit!

Das Fasten (saum):

Das Fasten im Monat Ramadan drückt nicht nur von der Theorie her die Einheit der Umma aus, die Solidarität der Reichen mit den Armen, sondern auch in der Praxis hat es eine ungeheure einigende Kraft. In vielen Ländern wird im Ramadan der normale Gruß (Friede auf euch – Und auf euch Friede) durch eine Fastenformel ersetzt, wie etwa „Möge dein Fasten angenommen sein“„Und dein Fasten auch!“ Dadurch wird man viele Male am Tag daran erinnert, dass man dazugehört zur Gemeinschaft der Fastenden, oder eben nicht. Das Fasten als Übung des Leibes drückt auch wieder die Einheit von Leib und Geist in der Anbetung aus. Das gleichzeitige Brechen des Fastens, wenn alle zur gleichen Sekunde mit den gleichen Worten ihren Löffel in die Suppe tauchen, und das gemeinsame Feiern in der Nacht, dass man es wieder einen Tag lang geschafft hat, drückt diese Einheit aus.

Das Almosengeben (zakah):

Die einzige Steuer, die Muslimen auferlegt werden darf, deutet wieder auf die Einheit der Umma, in ihrer Fürsorge für die Armen hin, wird aber auch gesehen als ein alternatives Wirtschaftssystem, das sowohl Kapitalismus als auch Kommunismus überlegen sei. Tauhid ist eben die Grundlage dafür, dass der Islam die eine Ordnung ist, die den Menschen in allen seinen Belangen betrifft: geistlich, leiblich, wirtschaftlich, politisch, sozial. Der Islam ist das eine System, das den Menschen in allen seinen Belangen betrifft und leitet.

Die Pilgerfahrt (hadsch):

Auch Muslime, die es mit der Praxis des Islam nicht sehr ernst nehmen, werden mit Begeisterung von der großen Einheit der Gläubigen bei der Pilgerfahrt berichten. Ob arm oder reich, alle tragen das eine, gleiche und schlichte Gewand, alle, egal woher sie kommen, beten in der einen gleichen Sprache, vollziehen die gleichen Riten. Die Unterschiede in Hautfarbe, Herkunft, sozialem Stand usw. gehen unter in dem Meer weißer Umhänge, die um die eine Kaaba kreisen.

Kritik

Praktisch: In der Praxis ist die Einheit der Umma nicht zu erkennen, Muslime wissen das, geben natürlich den „Umständen“, insbesondere nichtmuslimischen politischen Mächten die Schuld dafür, aber es ist doch fraglich, ob ein moderner Staat mit nur einer, noch dazu moderaten Kapitalsteuer auskommen kann. Schon zu Mohammeds Zeit hat sie ja nicht gereicht und die „Dschizya“ (Kopfsteuer) für Nichtmuslime wurde eingeführt.

Philosophisch: Eine monolithisch gedachte Einheit Gottes ist philosophisch zu einfach, um die Welt zu erklären. Insbesondere auf die Frage der Herkunft des Bösen kann der Islam keine andere Antwort geben, als dass es auch ein Ausfluss des einen Gottes und in Gott enthalten sein muss.

Christlich: Aus biblischer Sicht ist Mohammeds anfängliches Anliegen durchaus richtig gewesen, gegen den Götzendienst seiner Zeit zu predigen (Jes 45,21-24). Doch er ging zu weit und über die Wahrheit, Gottes wirkliches Wesen, hinaus und verleugnet damit Gott, entehrt ihn und wird antichristlich. Damit geht auch das verloren, was der Mensch zu seiner Rettung braucht: Liebe Gottes (Joh 3,16f), Vergebung durch den Sohn Gottes (1.Joh 4,9), Erleuchtung durch den Heiligen Geist (2.Kor 4,6). Wie es im Nicäischen Glaubensbekenntnis heißt, ist der Sohn: „wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater … der für uns Menschen und wegen unseres Heils herabgestiegen (ist)“.

 

Orientierung 2007-05; 15.11.2007

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