Die 2. und 3. Generation erreichen

Die 2. und 3. Generation erreichen

Wie wir junge Menschen mit dem Evangelium erreichen können, ist doch vielen Jugendleitern und Pastoren klar, oder? Ein Lehrer ging dieser Frage in Bezug auf Migranten nach:

Um der 2. und 3. Generation missionarisch zu dienen, ist die Beachtung der drei Grundfaktoren Nationalität, Kultur und Religion entscheidend. Der „Härtegrad“ dieser Grundfaktoren gibt die Schwierigkeit an, Migranten zu erreichen. Das heißt, je schwächer ein Mensch mit Migrationshintergrund von diesen drei Grundfaktoren seines Herkunftslandes geprägt und beeinflusst wird, desto leichter kann diese Person mit dem Evangelium erreicht werden. Diese Aussage beruht auf einem wichtigen Prinzip in der Missiologie: je weniger und je kleiner die Hürden für einen Religionswechsel sind, desto eher sind Menschen zu einem solchen Wechsel bereit.

Demnach sind zwei prinzipielle Ansätze für eine Arbeit unter der 2. und 3. Generation der Migranten möglich:
  • Die Gemeinde passt sich in den Bereichen Nationalität und Kultur soweit wie möglich der Zielgruppe an, z. B. persische, arabische oder türkische Gemeinden
  • Die Gemeinde benutzt den kleinsten gemeinsamen Nenner bzgl. Nationalität und Kultur, z. B. internationale Gemeinden

Beide Gemeindeformen haben ihre Vor- und Nachteile. Der erste Typ scheint sich auch in Deutschland mehr und mehr durchzusetzen, weil er weniger prinzipielle Konfliktfelder beinhaltet und Menschen sich in einer mehr vertrauten Umgebung einfach wohler fühlen.

So verwundert es nicht, dass die schwache deutsche Familienkultur sehr negativ von Muslimen bewertet wird und sich unter ihnen manchmal ein Gefühl der Überlegenheit breit macht. Türkische Familien treten gemeinsam und sehr stark auf, so dass sie oft von der Mehrheitsgesellschaft als bedrohlich empfunden werden. Der Zusammenhalt (türk. „beraber“; wörtl. „zusammen“) der Türken ist dem Durchschnittsbürger sehr fremd, aber auch anziehend. Ein Grund, warum vor allem Frauen zum Islam übertreten, scheint die Überzeugung zu sein, in einer islamischen Familie eine heile Welt des Zusammenhalts zu finden. Gastfreundschaft, Zusammenhalt, Selbstbewusstsein wirken als Anziehungspunkte des Islam und machen ihn für Deutsche attraktiv. Umgekehrt wird ein Muslim gerade das bei den Christen suchen: das offene Haus und Herz, die Geduld, Liebe, Zuwendung und tiefe Gemeinschaft.

 

Wo liegt das Problem?

Aus dem Gesagten ergibt sich die Frage: Wie kann man muslimische Migranten der 2. und 3. Generation in Deutschland mit dem Evangelium erreichen? Zunächst sollte man sich darüber im Klaren sein, dass traditionelle Ansätze der Evangelisation im deutschen Kulturraum in der Regel bei Personen der 2. und 3. Generation nicht zum Ziel führen, z. B.: Weitergabe von Literatur, Besuch eines deutschen Gottesdienstes oder Einladung zu einer Gemeindeveranstaltung. Die Gründe liegen nach der Meinung des Autors vor allem darin, dass diese Ansätze zu sehr von der deutschen Individualkultur mit ihrer Prinzipien-, Aufgaben- und Zeitorientierung geprägt sind, also zu sehr non-verbal, d. h. „geschrieben“ sind, kognitiv, d. h. über den Verstand laufen, unpersönlich oder unpraktisch sind.

Daraus folgt unter anderem: missionarische Angebote sollten sich mehr auf die Nachfrage ausrichten. Beispielsweise wäre es gut, wenn sie mit einem einfühlsamen Dialog beginnen, um sich ein Bild von dem Gegenüber zu machen. Dabei geht es um mehr Beziehungs-, Gruppen- und Ereignisorientierung. Denn die Wir-Identität ist gekennzeichnet durch das, wie andere einen sehen, erleben, bewerten. Der nächste Schritt ist dann erst die Frage, welche Rolle das Evangelium für diesen Menschen spielen könnte. Doch das scheint ein Anrennen gegen Windräder in der gegenwärtigen deutschen Leistungsgesellschaft zu sein, die sich kaum Zeit für ein Gegenüber nimmt. Denn welcher Christ unter uns würde noch die Frage „Wie kann ein Mensch mit Migrationshintergrund zum Glauben finden?“ frei nach Johannes Chrysostomus (344-407) beantworten: „Ich würde ihn einladen, ein Jahr mit mir zu leben“ (vgl. 1. Thess 2,8). Das war aber in der Entstehungszeit der Gemeinde der Normalfall (Apostelgeschichte 2)!

 

Ein anderer Aspekt ist die Frage, wie jemand lernt und versteht. Es gibt zwei verschiedene Typen des Lernens:
  • Das verstandesmäßige Lernen mit den autonomen und kreativen Dialogen (Ps 1,2)
  • Das Nachahmen eines Vorbildes (Phil 3,17)

Nach der Erfahrung des Autors ist der erste Lerntyp unter Menschen mit türkischem Migrationshintergrund kaum vorhanden, wie es eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung gezeigt hat. Die häufigere Lernmethode ist die durch Vorbilder, die aber fehlen. An dieser Stelle könnte die Gemeinde Jesu Vorbildfunktionen übernehmen und dieses Vakuum füllen. Nach der Meinung des Autors kann das nur über christliche Lebensgemeinschaften geschehen, die für muslimische Migranten offen sind. In einem solchen Rahmen können dann einfühlsame Dialoge mit mehr Beziehungs-, Gruppen- und Ereignisorientierung stattfinden, die ein „Reiz- und Heilklima“ erzeugen, wodurch Muslime im alltäglichen Zusammenleben eine persönliche Begegnung mit Jesus Christus haben können – ganz praktisch zum Anfassen und real.

Praktische Möglichkeiten

Missionarische Projekte sollten beziehungs- und gruppenorientiert sein. Das heißt, tiefere Beziehungen und mehr Vertrauen im zwischenmenschlichen Bereich sind entscheidend. So könnte man z. B. evangelistisch ausgerichtete Kurse in folgenden Bereichen anbieten:

  •  Koch-Kurse zur Zubereitung von orientalischem Essen und Gastfreundschaft für und von Frauen mit Migrationshintergrund
  •  Tanz-Kurse für orientalische Tänze für und von Frauen mit Migrationshintergrund
  • Sport-Kurse für orientalische Sportarten wie Ringen für und von Männern mit Migrationshintergrund
  • Sprach- und Integrationskurse mit ganzen Familien

Grundlegend wichtig sind und bleiben persönliche Besuche und Einladungen, um Beziehungen und Freundschaften aufzubauen.

Abschließend können wir festhalten: Wir sind ja als Christen wie viele Migranten: ohne bleibende Stadt. Doch wir sind unterwegs zu Gottes Reich (Hebr 13.14) und dorthin wollen wir sie einladen und mitnehmen. Deshalb suchen wir engere Beziehungen zu ihnen, verbringen gemeinsam Zeit und können so durch unser Reden und Tun Vorbild sein, ein „Reiz- und Heilklima“ bilden, in dem Jesus nahbar, spürbar und gegenwärtig ist.

Bearbeitet und gekürzt – Original siehe www.jafriedrich.de

 

aus: Orientierung 2011-03