Die Wiederkunft Jesu* in der Endzeit spielt bei den konservativen Schiiten eine beachtliche Rolle im anhaltenden Krieg in Syrien. Es geht um die Vorherrschaft in Damaskus, wo die Erscheinung Isas geschehen soll. Zum Anderen: vergleicht man das Leben Jesu im Neuen Testament und im Koran, stellt man formal sehr viele Parallelen fest. Es beginnt mit der Geburtsankündigung an die Jungfrau Maria, der Geburt in Palästina, dann seiner Predigttätigkeit, seiner Heilungskraft, der Auferweckung mancher Toten, der Auseinandersetzung mit seinen religiösen Zeitgenossen, dann der Tötungsverschwörung mit einem Kreuzigungszenario, seiner Himmelfahrt als eine Rettungsaktion vor dem Tod durch Allah und der Wiederkunft Isas am Ende der Zeit. Somit ist seine Wiederkunft theologisch in die Auseinandersetzung um das Schicksal Jesu am Kreuz in der medinischen Zeit – sowohl mit den Juden in Sura 4 als auch später mit den Christen in Sura 3 – eingebettet.
Der leibliche Tod Isas
Nach islamischem Denken liegt eine lange Zeitspanne zwischen dem verhinderten Kreuzestod Isas und seinem natürlichen Tod nach seiner Wiederkunft. Dies bot reichlich Anlass zu Spekulationen. Die klassische islamische Theologie geht von einem Erheben Isas zu Gott vor seinem Tod aus. Isa erhält die eschatologische Aufgabe, den Daddschal, eine Art Antichrist, zu bekämpfen. Bei seinem zweiten Kommen wird er zum „die eigene Gemeinschaft (Christen, Kreuzanbeter) tötenden Vollender des islamischen Endgerichts“. (Der Daddschal ist meist ein Widersacher Jesu, der Lügner, eine Art Anti-Christ) Gott hat Isa ibn Maryam nicht sterben lassen, denn er hat ihn als Rufer und Verkündiger gesandt, der die Menschen zu dem einzigen Gott ruft. Aber als Isa sah, wie wenige seine Anhänger waren und wie viele ihn der Lüge bezichtigten, klagte er dies Gott. Da gab ihm Gott ein: „Ich werde dich zu mir erheben. Deine Emporhebung zu mir ist nicht im Zustand des Todes, sondern ich werde dich zu dem einäugigen Daddschal schicken, damit du ihn tötest. Danach wirst du 24 Jahre leben, dann werde ich dich den Tod der Lebenden sterben lassen (d.h. einen natürlichen menschlichen Tod)” (nach Ka‘b al-Ahbar aus at-Tabaris Korankommentar). Ungeachtet, wie dieser Sachverhalt aus christlicher Sicht theologisch zu beurteilen ist, steht eines im Gespräch mit Muslimen fest: Isa lebt leibhaftig in der unmittelbaren Nähe Allahs, im Gegensatz zu allen anderen Propheten „zur Rechten Gottes des allmächtigen Vaters“, so das apostolische Glaubensbekenntnis.
Wiederkunft Isas als Mittel zum Zweck?
Die völlige islamische Vereinnahmung Jesu als islamischen Endgerichtspropheten gipfelt in der Vernichtung des Christentums am Ende der Zeit: „Gott wird Isa b. Maryam herablassen als einen gerechten Richter und recht handelnden Imam. Er zerbricht das Kreuz, tötet das Schwein, schafft die Kopfsteuer (Dschizya) ab, und das Geld wird sich so sehr vermehren, dass niemand es mehr haben will.“ (nach Abu Hurayra in at-Tabari) In einem weiteren Hadith schließt sich der Kreis des islamischen religiösen Systems: Die Wiederkunft Jesu wird eingebettet in den gemeinsamen abrahamischen Ursprung und die Prophetensukzession. Nach der Vernichtung aller anderen Religionen wird Friede herrschen – eine Schilderung in Anlehnung an die biblischen Eschatonschilderungen eines Friedensreiches:
„Die Propheten sind Brüder bezüglich ihrer allat – Abstammung, ihre Mütter sind unterschiedlich, aber ihre Religion ist eine einzige. Und ich (= Muhammad) bin derjenige, der ihm (= Isa) am nächsten ist, denn zwischen mir und ihm ist kein anderer Prophet. Und er ist mein Nachfolger für meine Umma. Und er kommt herab. Und wenn ihr ihn seht, dann werdet ihr ihn erkennen: Er ist von mittlerer Statur, seine Gesichtsfarbe zwischen rot und weiß, mit glattem Haar, das glänzt, als wäre es nass. Er zerschlägt das Kreuz, tötet das Schwein, das Geld vermehrt sich, er bekämpft die Menschen wegen des Islams, bis Gott alle anderen Religionsgemeinschaften vernichtet. Er wird zu seinen Lebzeiten die Spitze des Irrtums, den Lügner, den Daddschal vernichten. Auf der ganzen Erde wird Sicherheit herrschen, und die Löwen werden neben den Kamelen spielen, und die Tiger mit den Kühen, und die Wölfe mit den Schafen, und die Jünglinge mit den Schlangen. Keiner wird dem anderen Schaden zufügen. Er wird 40 Jahre auf Erden verweilen, dann wird er sterben. Die Muslime werden über ihm das Totengebet sprechen und ihn begraben“. (nach Abu Hurayra)
Isa, der nach koranischem Zeugnis nicht am Kreuz starb, wird bei seiner Wiederkunft das Symbol des Christentums, das Kreuz zerbrechen, d. h. das Christentum, das als verfälschte und defizitäre Variante der ursprünglichen abrahamischen und zugleich endgültigen Religion gilt, zerstören. Das beinhaltet, dass er seine Anhänger, die aus ihm mehr machten als er selbst sein wollte – nämlich „nur ein Diener Gottes“ -, die ihn verehrten, vergöttlichten und neben Gott setzten, eigenhändig töten wird. So sind es nach der Vorstellung der islamischen Tradition nicht die Muslime, die die Erde endgültig muslimisch machen, sondern ausgerechnet Jesus selbst! Das Friedensreich Jesu wird aufgerichtet, aber über den Weg der Vernichtung des christlichen Kreuzsymbols und seiner Anhänger.
Die Wiederkunft Jesu in christlicher Perspektive
Jesus, der das Richteramt innehaben wird, wird bei seiner Wiederkunft nicht noch einmal sterben. Sein Trostwort an seinen Lieblingsjünger lautet: „… Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ (Offb. 1,17f)
Die Wiederkunft Jesu im Islam verfehlt den eigentlichen Sinn und Schöpfungszweck des Menschen in der Bibel, der darin besteht, die an Jesus Glaubenden – tote und lebende – in dessen Ebenbild zwecks ewiger Gemeinschaft mit ihm zu verwandeln. Johannes, der Jünger Jesu, bringt diesen Tatbestand auf den Punkt, wenn er schreibt: „Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ (1Joh 3,2)
* im Islam wird Jesus Isa genannt
Dieser Artikel erschien in Orientierung: M #spezial, Ausgabe 22-3/4. Er darf kopiert werden unter Angabe der Quelle „Orientierung: M e.V.“. Bitte informieren Sie uns über die Verwendung des Artikels.