Mit Türken im Gespräch über Abraham

07.09.2020
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Wer türkische Freunde einmal nach der Bedeutung des „Opferfestes“, des größten der islamischen Feste, gefragt hat, wird auf Abraham stoßen. İbrahim, so Abraham auf Türkisch, war bereit, auf Befehl Gottes seinen Sohn zu opfern. Er ist dadurch bis heute ernsthaften Muslimen ein großes Vorbild für unbedingten Gehorsam gegen Allah. Wenn man ein bisschen tiefer forscht, findet man jedoch schnell heraus, dass es selbst in dieser Christen und Muslimen gemeinsamen Geschichte auch unüberbrückbare Unterschiede gibt: Der Sohn, den Abraham opfern sollte, war nach gängiger muslimischer Meinung nicht Isaak, sondern Ismael, der Sohn der Hagar.

Überall da, wo man in der Türkei Abraham begegnet, wird man mit beidem konfrontiert: Er ist ein gemeinsamer Bezugspunkt: Muslime schätzen Abraham, sehen ihn als Vorbild. Wir tun das auch. Aber in den Einzelheiten gibt es große, oft entscheidende Unterschiede.

Noch ein Beispiel: Şanlıurfa (oft auch nur als Urfa bezeichnet), eine große Provinzhauptstadt im Südosten der Türkei, liegt nah an dem antiken Haran, wo sich auch laut Bibel ein Teil des Lebens von Abraham abspielte. Muslime bezeichnen Urfa daher sogar als “Prophetenstadt“. Wenn man dann jedoch nach Einzelheiten aus dem Leben Abrahams fragt, stößt man auf abenteuerliche Geschichten: Der böse König Nemrut (vgl. die biblische Gestalt des Nimrod in 1. Mose 10,8-12) will den gerechten Abraham auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Durch ein Wunder Gottes werden jedoch das Feuer zu Wasser und die angebrannten Holzstücke zu Fischen. Den angeblich damals entstandenen Fischteich kann man heute noch in der Nähe von Urfa besichtigen.

Eignet sich dann Abraham überhaupt als Einstieg in ein Gespräch mit muslimischen Freunden? Ja, denn wenn wir über Abraham reden, dann können wir davon ausgehen, dass Muslime von ihm gehört haben, ihn schätzen und ihn als geistliche Autorität akzeptieren. Wir haben erstmal eine gemeinsame Basis, die unser Reden von Gott weniger befremdlich für unsere Freunde macht. Wenn es um Abraham geht, wird auch ein durchschnittlicher Muslim zuhören!

Dann kommt es jedoch darauf an, dass wir selbst gut verstehen, wer Abraham in der großen Geschichte des lebendigen Gottes mit der Menschheit ist und welche zentrale Rolle er darin einnimmt. Abraham war ein Einzelner, mit dem Gott neu anfing (1. Mose 12), nachdem die Menschheit es in geschlossener Front, aber ohne Gott, beim Turmbau zu Babel (1. Mose 11) vergeblich versucht hatte, dem Leben bleibende Bedeutung zu geben. Abraham erhielt die Verheißung, dass von seinen Nachkommen (1. Mose 22,18) Segen für alle Völker kommen solle. Und diese Verheißung wurde in dem einen Nachkommen (vgl. Gal 3,16), nämlich in Jesus Christus erfüllt. Wenn wir Muslimen diese großen Verheißungslinien, gerade auch unter Bezug auf Abraham, vor Augen malen können, können sie besser verstehen, warum Jesus nicht nur einer von vielen, sondern der eine Verheißene ist. Abraham innerhalb dieser „großen Geschichte“ zeigen zu können, scheint mir wichtiger, als einzelne seiner vorbildhaften Eigenschaften zu betonen.

Die Stärke des Glaubens Abrahams hervorzuheben, liegt Muslimen sowieso nahe. Wie auch andere Propheten wird Abraham zu einem großen, nahezu schuldlosen Helden stilisiert, der unerschrocken die Götzenbilder seiner Familie und seiner Nachbarn zerstört. Muslime können uns sogar richtig böse werden, wenn sie lesen, dass Abraham in der Bibel gar nicht immer ein Held ist. Aus Angst um sein eigenes Leben gibt er seine Frau als Schwester aus und nimmt dabei in Kauf, dass zuerst der Pharao (1. Mose 12,10-20) und später noch mal Abimelech, König von Gerar, (1. Mose 20,1-17) beinahe seine Frau Sara heiraten. Dass Propheten sich zeitweilig moralisch so zweifelhaft verhalten können, passt nicht ins Weltbild von Muslimen.

Gerade an dieser Stelle ergibt sich aber eine weitere offene Tür für das Evangelium: Dass „unser Buch“, also die Bibel, schonungslos offen auch sündiges, manchmal geradezu haarsträubendes (David und Batseba!) Verhalten der Propheten erzählt, mag für Muslime anstößig sein. Wir können aber gerade dann davon reden, dass keiner der Propheten rein genug war, uns zu retten, dass nur der eine, der als Sohn direkt vom Vater kam, gänzlich ohne Sünde war und daher unsere Sünde tragen konnte.

Ich benutze den Anstoß dessen, dass die Bibel so offen über Sünde berichtet, auch als Hinweis für die Glaubwürdigkeit des Wortes Gottes. Niemand, der seine eigene „Religion“ verherrlichen und die Überlegenheit des Glaubens Israels demonstrieren wollte, hätte sich solche Geschichten über die Stammväter und Helden seines eigenen Volkes ausgedacht, wie wir sie über Abraham, Jakob, David oder Salomo finden. Ehrliche Muslime können darüber ins Nachdenken kommen, denn ihre eigenen Erfahrungen mit Menschen liegen ja den biblischen Berichten von sündhaftem Verhalten viel näher als den Heldengeschichten von Koran und islamischer Überlieferung.

Schließlich kann dann in unserem Gespräch auch das Wesen des Glaubens am Beispiel Abrahams deutlicher werden: Wir lesen in der Bibel gerade nichts davon, dass Abraham etwa alle Voraussetzungen zum Helden hatte. Unvermittelt ruft der lebendige Gott ihn, er / Abraham gehorcht einfach, geht auf Befehl Gottes los und vertraut nicht sich selbst, sondern der Verheißung Gottes. „Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit“ (1. Mose 15,6) – daran anknüpfend können wir bezeugen, dass Gott Sünder – wie auch uns – ruft und rettet.

 

Dieser Artikel erschien in Orientierung: M #spezial, Ausgabe 20-2