Herausforderung zum Leiten ohne zu herrschen

Es hat den Anschein, dass jede Kultur dieser Erde zu kontrollierender und autoritärer Leitung neigt. In seinem tiefsten Inneren hat der Mensch den Wunsch nach Kontrolle und Selbstbestimmung. In diesem Buch nutzt Julyan Lidstone, u.a. ehem. Leiter OM  Türkei, seine jahrzehntelange Erfahrung in West- und Zentralasien, vor allem aber die maßgebliche Lehre der Bibel, um Fragen zu autoritärer Leitung in Ehre-Scham-Kulturen zu beantworten.

Begabte junge Leiter führen überall auf der Welt neue Jesus-Nachfolger zusammen. Aber die vorherrschende Kultur der autoritären Leitung ist das größte Hindernis für gesundes Wachstum und eine feste Verankerung dieser neuen Gemeinden. Lidstone wendet die von Jesus Christus und dem Apostel Paulus vorgelebte dienende Leiterschaft, wie sie von der Bibel aufgezeigt wird, auf gewinnende und präzise Weise an. Diese ist ein auf das Kreuz ausgerichtetes Gegenmittel gegen den Schmerz, den Schaden und die Desillusionierung, die durch Leitung verursacht werden, die nicht die Christusähnlichkeit des Reiches Gottes widerspiegelt. Er entfaltet die Auseinandersetzung mit dem zusammenhängenden Themenkreis Evangelisation, Jüngerschaft, Gemeindebau und Leitung.

Wenn man zunächst denkt, es sei ausschließlich ein Impuls für nichtwestliche Kulturen, wird man schnell eines Besseren belehrt. Lidstone hinterfragt die Entwicklung in der Kirchengeschichte im Licht des biblischen Maßstabs, nicht im Vergleich zu orientalischer oder westlicher Kultur. Das Buch lebt von seiner Aktualität wie auch von zeitloser Allgemeingültigkeit:

„Herrscher spielen sich maßlos auf, Völker leiden unter der Gewalt der Mächtigen – bei euch aber soll es nicht so sein, im Gegenteil …“ (Matthäus 20,24-28).

Nicht der menschliche Aufstieg durch Streben nach Pracht, Macht und Status, sondern der göttliche Abstieg des gottgleichen Messias ist das neutestamentliche Modell:

„Der seine Macht ablegt, auf seine Vorrechte verzichtet, ein Mensch wie jeder andere wird, den Mitmenschen dient,
sich noch tiefer erniedrigt und den Tod eines Verbrechers auf sich nimmt.“
(Philipper 2.6-8).

Gottesbild = Grundlage für Leitung 

Konstantin der Große (~270-337 n. Chr.) schaffte es nach seiner Bekehrung nicht, auf seine purpurfarbene Ehrenkleidung zu verzichten – diese Scham hätte er nicht ertragen. Er machte sich zum einflussreichen kirchlichen Leiter, ohne selbst in Jüngerschaft und Nachfolge unterwegs zu sein. Heutige Fehlentwicklungen im Bereich der Leiterschaft fordern den Leser ebenso heraus, sich seine eigenen geistlichen Denkvoraussetzungen bewusst zu machen. Insgesamt eine gelungene Einladung zu einem entgegengesetzten Lebensstil:

  • Was müssen Neubekehrte erleben, damit wir Gemeinschaften von Jüngern aufbauen können, die unbedingt nach dem Vorbild von Jesus und den Aposteln leben wollen?
  • Was brauchen wir für eine Gegenkultur, um unsere Einstellung zu unserer Herkunftskultur wirksam zu verändern?
  • Gott leitet quasi zu dritt – was bedeutet Dreieinigkeit in Bezug auf das Verständnis von Autorität und Leitung?

Der Praktiker findet in diesem Buch eine reformatorische Wiederherstellung des Evangeliums ohne historischen Ballast:

  • Wer und wie ist der Gott, den ich dem Gegenüber näherbringen möchte?
  • Was bedeutet es, dass Gott als Dreieinigkeit selbst Beziehung ist?
  • Welche Auswirkungen hat es, wenn mein Gesprächspartner von einem monotheistischen Gottesbild ausgeht?
  • Welche Vorurteile gegen das Christentum beruhen auf dem falschen Verständnis der Dreieinigkeit, woher stammen die historischen Fehlentwicklungen?
  • Wie lassen sie sich wirksam aus dem Weg räumen, um Zugang zu Gott zu ermöglichen, so wie er sich in der Bibel wirklich offenbart?

Das Buch enthält wichtige Grundlagen für neue Gläubige, um den Aufbau ihrer Gottesbeziehung anzuregen. Für Jüngermacher unter Migranten bietet es einen wichtigen Einblick in deren Kultur, um klassische Stolperfallen in der Jüngerschaft erfolgreich zu vermeiden. Wer als Coach oder Mentor nichtwestliche Leiter begleitet, wird hier in seelsorgerlicher Hinsicht unterstützt.

Das Buch erfordert Geduld und Demut, weil es auf ganz verschiedenen Ebenen Wahrheit zugänglich macht. Nicht ganz neu, aber sorgfältig erarbeitet, wiederentdeckt, erstaunlich in den Zusammenhang mit – oder besser gesagt: in Gegensatz zu unserer missionarischen und Gemeinderealität gestellt. Diese Erkenntnisse sind ohne theologisches oder geschichtliches Vorwissen sehr gut verständlich und für jeden anwendbar. Ein Buch, das echte Autorität nicht infrage stellt, sondern Leitern und Geleiteten neue alte Wege aufzeigt.

Julyan Lidstone
Legt den Purpur ab

Taschenbuch, 160 Seiten, 12,5 x 19 cm
OM Books
Art.-Nr. 2440008
9,95 €

aus: Orientierung: M #spezial 24-1