Was – oder wer – bietet mir Halt, wenn mir der Boden unter den Füßen schwankt? – Nur was ich in Krisensituationen selber als hilfreich erfahren habe, werde ich anderen mit Überzeugung weiterempfehlen wollen.
Was wäre wohl die Antwort, wenn wir Außenstehende fragten, worin sie die Zielsetzung der Orientdienst-Arbeit sehen? Ich vermute, dass einige äußern würden: ‚Der Orientdienst will Muslime für das Christentum gewinnen.‘ – Diese Aussage erscheint mir aber nicht ganz zutreffend.
Gewiss: der Orientdienst hat einige Jahre lang eine Schriftenreihe „Christentum und Islam“ herausgegeben. Die Hefte waren vorwiegend für Christen gedacht: als Hilfestellung, den Islam zu verstehen und die Unterschiede zwischen christlichem Glauben und Islam zu erkennen. Das sollte aber nie Selbstzweck sein. Das Motto unserer Islamkurse, die wir jahrelang in Kaub am Rhein, in Korntal und an anderen Orten durchgeführt haben, drückt unser Anliegen schon treffender aus: „Den Islam verstehen – Muslimen Jesus Christus bezeugen“. Z. B. im Impressum unserer Zeitschrift formulieren wir seit etlichen Jahren unsere Zielsetzung: „Jesus Christus den Muslimen in Europa“.
„Und!? Wo liegt denn da der Unterschied? Ist das nicht dasselbe, jemanden für das Christentum oder für Jesus Christus gewinnen zu wollen?!“ wird vielleicht jemand fragen.
Ein gegenwärtiger Halt
Lassen Sie mich kurz erzählen! Vor über einem Jahr befand ich mich in einer Situation, in der ich den Eindruck hatte, dass der Boden unter meinen Füßen gewaltig schwankt, dass ich die Orientierung für meinen weiteren Weg verloren habe und dass mir die Kraft fehlt zum Arbeiten und Kämpfen. Ich hatte meinen Glauben nicht weggeworfen; mein Glaube war aber wohl genauso schwach wie ich selber. Meine geistlichen Erfahrungen und mein Bibelwissen halfen mir nicht, meine bedrängenden und verwirrenden Fragen zu beantworten. Auch Gespräche mit Anderen gaben mir keinen Halt.
Gerade in dieser Situation stieß ich „zufällig“ auf den Bericht über den „sinkenden Petrus“ im Matthäus-Evangelium (Mt 14,22ff): Petrus befindet sich gemeinsam mit den anderen Jüngern bei Nacht in einem Boot mitten auf dem See Genezareth; ein starker Wind weht ihnen entgegen, die Wellen lassen das Boot gefährlich schaukeln. Eine Gestalt kommt über das Wasser auf sie zu, und sie schreien vor Angst. Da hören sie die Stimme Jesu: „Fürchtet euch nicht! Ich bin’s.“ Petrus hat den Mut zu sagen: „Herr, wenn du es bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!“ und auf den Befehl Jesu hin steigt er aus dem Schiff und geht über das Wasser auf Jesus zu. Doch dann sieht er, wie stark der Wind ist, fürchtet sich, fängt an zu sinken und kann nur noch schreien: „Herr, rette mich!“ Und Jesus streckt die Hand aus und ergreift Petrus.
Als ich dann eine Auslegung zu diesem Bericht aufschlug, fand ich einen Satz, der mich sehr berührte: „Seine (des Petrus) Verbundenheit mit Jesus hat ihren Grund nicht in seinem Glauben, den die natürlichen Eindrücke leicht verdrängen, sondern in der treuen Festigkeit Jesu, der den Jünger erfaßt und schützt.“ (A. Schlatter, Der Evangelist Matthäus, S. 472f)
Ich hatte es selber praktisch erfahren und musste es auch mit meinem Verstand erkennen: Es ist tatsächlich nicht mein Glaube, der mir Halt gibt; der kann sehr leicht durch äußere Einflüsse ins Wanken geraten. Was mir wirklich Halt gibt, ist die ‚treue Festigkeit Jesu‘, der auch mich erfaßt und schützt‘. – Wer hält mich, wenn ich mich an nichts mehr halten kann? Wenn mein „Glaube“ von den Wellen ausgelöscht und vom Wind weggeblasen wird? – An diese Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium gerade in einer solchen Situation (wieder einmal) erinnert zu werden und diesen Satz zu lesen, war für mich das sehr konkrete, rechtzeitige und hilfreiche „Kommen“ und „Zugreifen“ des lebendigen Herrn.
Ein zuverlässiger Halt
Petrus war der Mann, der immer wieder als Sprecher des Jüngerkreises in den Vordergrund trat, den Jesus Christus selber zum Fundament Seiner Gemeinde machte (Mt 16,18f). Es ist sicherlich kein Zufall, dass Jesus Christus gerade diesem Petrus (und an diesem Petrus der gesamten christlichen Gemeinde) deutlich machte: ‚Es wird nicht dein Glaube sein, der dich hält. Es wird nicht dein Bibelwissen sein, das dir zu jeder Zeit Orientierung gibt. Nicht deine früheren Glaubenserfahrungen werden dich durch jede Krise hindurchtragen – auch wenn sie hilfreich sein können.‘
Zugleich macht Jesus aber zeichenhaft deutlich: ‚Auch in Nacht und Sturm bin ich für dich da! Du kannst nach mir rufen und ich höre. Ich behalte dich im Blick und lasse dich nicht allein. Wenn du keinen festen Halt findest, an dem du dich festhalten kannst – ich bin ein beweglicher Halt: ich setze mich in Bewegung, komme auf dich zu, ich greife nach deiner Hand und halte dich fest.‘
Matthäus hat dieses Ereignis sicherlich nicht nur aufgeschrieben, damit eine schöne alte Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, sondern weil er und andere auch nach Jesu Tod und Auferstehung ähnliche Erfahrungen mit dem unsichtbar gegenwärtigen Herrn gemacht haben … und immer wieder seither haben Menschen erlebt, dass ihr Herr Jesus Christus sie hielt und trug, dass Er mitten durch „Nacht“ und „Sturm“ und „Wellen“ zu ihnen kam mit Seiner Hilfe, Seinem Trost oder Seinem unerklärlichen tiefen Frieden.
Ein persönlicher Halt
Deshalb möchten wir Menschen nicht für das Christentum gewinnen, sie in erster Linie von der Wahrheit einer Lehre überzeugen, ihnen eine Theorie vorstellen, die ihnen auf alle Fragen eine zufriedenstellende Antwort gibt.
Deshalb möchten wir auch nicht Menschen zu einem bestimmten Lebensstil einladen: weder zu einem „christlichen Gesetz“, das für jede Situation eine Verhaltensregel anbietet, noch zu einer „christlichen Freiheit“, in der (scheinbar) alles erlaubt ist, die von alten Zwängen entlastet, aber auch orientierungs- und haltlos machen mag.
Wir wollen Menschen einladen, eine Person kennen zu lernen, der sie ihr Leben anvertrauen können und die ihnen ein lebendiger Halt sein will. Eine Person, die lebt, die unsichtbar gegenwärtig ist, die uns Menschen kennt und versteht und die in unser Leben eingreifen kann und will – die Person, die gekommen ist, Sünder mit dem heiligen Gott zu versöhnen.
Festen Halt bietet kein Glaube und keine Religion, an die wir uns selber halten müssen. – Wirklichen Halt kann uns nur ein Anderer geben: eine Person, die den Durchblick behält, wenn es um uns her Nacht ist; die Frieden ausstrahlt, wenn wir in Panik geraten; die Kraft hat, wenn unser Glaube genauso schwach ist wie wir selber; die nach uns greift, wenn wir zu versinken drohen. Weil wir keine andere Person als nur Jesus Christus kennen, die uns in solcher Weise hält und trägt – deshalb halten wir fest an unserem Motto: „Jesus Christus (auch) den Muslimen in Europa“. Das wünschen wir von ganzem Herzen, dass auch sie diesen lebendigen Herrn kennenlernen.
Orientierung 2013-01; 15.02.2013
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