Ermutigung zu Trauerbesuchen – nicht nur bei Türken
Mehr als 20 Jahre haben wir als Familie in der Türkei gewohnt. Als wir zurück nach Deutschland zogen, sind uns die viele Unterschiede zwischen der deutschen und der türkischen Kultur aufgefallen. Ein Beispiel dafür ist das Verhalten bei einem Todesfall in der Familie von Bekannten.
In Deutschland sagt man den Trauernden „Herzliches Beileid“ und schreibt vielleicht noch eine Beileidskarte. Wenn es eine Person ist, die man kannte, geht man, wenn möglich, zur Beerdigung. Allerdings – in der Annahme, der Trauernde möchte in seiner Trauer eher alleine sein – versucht man, nicht zu stören und hält auch in der Regel Abstand zu den Trauernden.
In der Türkei dagegen drückt man jedem sein Mitgefühl aus. Es wird umarmt, geweint, telefoniert und nicht zuletzt BESUCHT! Im Hause der betroffenen Familie sind die Familienmitglieder für mindestens eine Woche darauf eingestellt, all die Besucher zu empfangen, die kommen und ihr Mitgefühl ausdrücken wollen.
Jede Person, die irgendwie in Verbindung zu der verstorbenen Person oder Familie steht, kommt zu Besuch, nicht nur von der eigenen Familie. Nachbarn, Arbeitskollegen etc. strömen herein. Als z. B. die Oma einer Klassenkameradin unserer Tochter starb, kam auch ein Teil der Klasse mit ihren Müttern und der Lehrerin zum Kondolieren.
Jedem der Besucher wird eine Tasse Tee und oft auch etwas Gebäck serviert. Besucher bringen gerne Tee, Zucker, etwas zum Knabbern oder Essen mit als Geschenk und zur Entlastung der trauernden Familie. Der Kondolenzbesuch dauert etwa 30 bis 60 Minuten. Man sitzt einfach dabei und verhält sich leise. Es werden persönliche Fragen über den Verstorbenen gestellt und man drückt auch aus, dass man ebenfalls traurig ist. Es kommt vor, dass plötzlich einer in der trauernden Familie laut zu weinen oder zu schreien beginnt – so bringen sie ihren Schmerz und ihre Trauer zum Ausdruck.
In der Türkei erlebten wir: Keiner möchte in dieser Situation alleine sein! Sie schätzen eher die Ablenkung und viele Besucher. Es tut ihnen gut, wenn ihnen so viel Mitgefühl ausgedrückt wird. Auch hier in Deutschland konnten wir schon Trauerbesuche bei Türken machen. In beiden Fällen hat es uns den Personen näher gebracht. So ein Besuch wird niemals vergessen und die herzliche Anteilnahme verstanden als: „Ihr habt uns nicht allein gelassen in unserer Trauer“.
Als Christen haben wir hier auch die Gelegenheit genutzt, um für die Familie zu beten – zuvor haben wir natürlich gefragt, ob das erwünscht ist. Es wird sehr geschätzt und oft sind sie davon sehr berührt. Ich denke, wenn wir als Deutsche sie so besuchen, wird das doppelt geschätzt! Probieren Sie es doch mal aus, es ist ein guter Weg, um das „Herz“ zu öffnen!
aus: Orientierung 2014-04; 23.11.2014
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