Wie steht Jesus zu denen, die von ihm weggehen wollen? – Was fesselt Menschen an Jesus?
Eine starke Mannschaft braucht festen Zusammenhalt. Wenn es zu bröckeln beginnt, wenn Einzelne plötzlich abspringen oder andere sich allmählich absetzen, schwächt das die ganze Gruppe und es entsteht bald ein Klima von Lähmung und Resignation: „Wir werden immer weniger. Lohnt es sich noch zu bleiben? Soll ich nicht besser auch verschwinden?” – Deshalb sollte man doch wohl in einer Gemeinschaft solch einem Hin-und-Her und Rein-und-Raus von vornherein einen Riegel vorschieben: „Entweder du machst verbindlich mit, oder du lässt es bleiben! Und wenn du dich für uns entscheidest, dann gehörst du auch ganz dazu – ohne dir noch einen Notausgang offen zu lassen!”
Ganz und gar dazugehören, ohne die Möglichkeit auszusteigen: sollte das nicht vor allem klar sein, wenn es um so etwas Wichtiges, Absolutes geht wie Gottes Herrschaft? Kann man da zulassen, dass Leute sich einfach „abmelden”? Ist Abfall vom Glauben nicht „Hochverrat”?
„Wollt ihr auch weggehen?”
Nicht nur im Verlauf der Kirchengeschichte geschah es immer wieder, dass Menschen, die sich „Christen” genannt hatten, eine andere Religion annahmen oder sich ganz vom Glauben abwandten. Schon zur Zeit der irdischen Wirksamkeit Jesu gab es eine Reihe von Personen, die für eine Weile seine Jünger waren, sich aber plötzlich entschieden, ihm nicht mehr nachzufolgen. Wie ging Jesus damit um?
Nach dem Johannes-Evangelium (6,60-66) hat er ihr Weggehen offensichtlich akzeptiert. Im Anschluss an eine „harte Rede”, an der sich einige störten (Vers 60), versuchte Jesus sie nicht zu beschwichtigen, um sie doch „bei der Stange zu halten”. Er konfrontierte sie sogar noch mit der Aussage: „Es sind einige unter euch, die nicht glauben.” (Vers 64) Es war ihm anscheinend nicht wichtig, eine möglichst große Anhängerschaft zu haben und dadurch Macht ausüben zu können.
Sogar seinen engsten Jüngerkreis, die „Zwölf”, die noch geblieben waren, fragte er: „Wollt ihr auch weggehen?” (Vers 67) Jesus wusste sicherlich: wenn viele sich zurückziehen, entsteht ein Sog, der auch die „letzten Getreuen” noch mitreißen könnte.
Und wenn auch sie ihn im Stich gelassen hätten? Jesus hätte auch ohne die Zwölf weiterhin predigen und Kranke heilen können. Das wichtigste Ziel seines Lebens war jedoch, am Kreuz für die Schuld der Menschen zu sterben und als der Auferstandene den Sieg über Sünde und Tod zu proklamieren. Zu dieser Heilstat gehörte allerdings untrennbar, dass sieverkündigt werde – und zwar durch Zeugen, die nicht bloß mehr oder weniger zufällig einzelne Ereignisse gesehen, sondern die mit Jesus gelebt und ihn intensiv kennen gelernt hatten. Das wäre in Frage gestellt worden, wenn auch die Apostel Jesus verlassen hätten (abgesehen davon, dass er sich dann bei seiner Auswahl wohl völlig geirrt hätte). Menschlich gedacht wäre für Jesus eine ziemlich schwierige Situation entstanden.
Dennoch versuchte Jesus nicht, sie festzuhalten weder durch Bitten oder Versprechungen noch durch Befehl oder Drohungen. Seine Frage ermöglichte ihnen eine eigene Entscheidung. Sie öffnete ihnen die Tür zur Freiheit: „Wenn ihr wollt, dann könnt und dürft auch ihr weggehen.”
Jesus gewährte (und gewährt) Menschen Freiheit, weil er selber seinem Vater in Freiheit gehorchte. Als er in der Wüste versucht wurde, entschied er sich, Gott an die erste Stelle zu setzen. Als er in der Nacht vor seiner Kreuzigung in Gethsemane betete, kämpfte er sich durch, den „Kelch zu trinken”, den sein Vater ihm gab (Joh 18,11). So wollte (und will) er auch von seinen Jüngern keine manipulierte, erkaufte oder erzwungene Nachfolge, sondern freiwillige.
Worte des ewigen Lebens
Die Zwölf blieben. Was hielt sie bei Jesus? Petrus sprach es für sich und die anderen aus: „Du hast Worte des ewigen Lebens” (Vers 68). Damit meinte er nicht Informationen oder Lehren, die Jesus über das ewige Leben mitteilte, schon gar nicht Vertröstungen auf ein Jenseits.
Petrus hatte es persönlich erlebt, wie Jesu Worte ihm neues Leben schenkten: Durch Jesu Verkündigung und ein Wunder, das er selber miterlebte, sah er sich in solcher Weise in Gottes Gegenwart gestellt, dass er sich als Sünder erkannte (Lk 5,8). Voller Schrecken entdeckte er, dass sein Leben in Gottes Licht nicht bestehen konnte. Als Jesus ihn dann – in göttlicher Vollmacht – mit den Worten „Fürchte dich nicht!” ansprach, lag darin zugleich die Zusage der Vergebung und des Friedens mit Gott. Und wo die Beziehung eines Menschen zu Gott durch Jesus in Ordnung gebracht worden ist, da ist bereits „ewiges Leben”. Auf dieser Grundlage erhielt das Leben des Petrus einen neuen Sinn; Jesus gab ihm den Auftrag: „Von nun an wirst du Menschen fischen.” (Lk 5,10b) – Dass Jesus sein Leben neu gemacht, ihn mit Gott versöhnt und ihm ewige Hoffnung geschenkt hat: bei wem sonst könnte Petrus dergleichen suchen und finden?
Wer wird heute bei Jesus bleiben – und damit auch bei seiner Gemeinde? Am ehesten Menschen, die etwas von ihm empfangen haben, das niemand sonst ihnen geben konnte. Wer von ihm „Worte des ewigen Lebens” gehört hat, wem durch die Zusage Jesu das ewige Leben geschenkt wurde, der wird bei allen anderen „religiösen Angeboten” abwinken.
Wenn Menschen, die Christen waren, Muslime werden: vielleicht haben sie bisher nie ganz klar und verständlich von Jesus „Worte ewigen Lebens” gehört? Vielleicht weil unser Zeugnis zu zaghaft und undeutlich war?
Orientierung 2002-05; 15.02.2000…
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