Aischa – die Lieblingsfrau Mohammeds?

Aischa war die dritte und jüngste der Frauen des islamischen Propheten Mohammed. Sie gehört damit zu den zwölf „Müttern der Gläubigen“, die als die größten Vorbilder für die muslimischen Frauen gelten. Nach islamischen Quellen ergibt sich in groben Zügen folgendes Bild ihres Lebens und ihrer Persönlichkeit:

Ihre Herkunft
Der Name Aischa bedeutet „die Lebende“. Sie war die Tochter Abu Bakrs aus dem Stamm Quraisch. Abu Bakr war der erste erwachsene Mann, der Muslim wurde. Er war Geschäftsmann und wegen seines guten Charakters und seiner Hilfsbereitschaft hoch geachtet. – Aischa wurde im Jahr 613 oder 614 in Mekka geboren und starb 678 in Medina. Sie war von Geburt an eine Muslima, da ihre Eltern schon zuvor den Islam angenommen hatten.

Der Zeitpunkt der Eheschließung
Über das Heiratsalter Aischas sind Muslime sich nicht einig. Einige versuchen zu beweisen, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung mindestens 14 Jahre alt gewesen sein müsse, andere dass sie sogar 19 oder 20 Jahre alt gewesen sei.
Die gängige Meinung ist allerdings: der Prophet hat sich noch in Mekka mit Aischa verlobt, als sie sechs oder sieben Jahre alt war. (Sie war zuvor schon Gubair, Sohn des Al­ Mutamm, versprochen gewesen.) Die Hochzeit und der Vollzug der Ehe fanden drei Jahre später nach der Schlacht von Badr in Medina statt – als sie 9 Jahre alt war.
Diese Eheschließung in frühem Alter wird von Muslimen mit folgenden Gründen erklärt und gerechtfertigt:
1. Unter Berufung auf Hadithe wird gesagt, diese Ehe sei Mohammed von Allah befohlen worden.
2. Mit 9 Jahren sei ein Mädchen damals auf der Arabischen Halbinsel körperlich in der Lage gewesen zu heiraten.
3. Die Heirat im frühen Alter war damals üblich. Safiya bint Hu’ai bint al-Akhtab z. B. war, bevor der Prophet sie heiratete, schon einmal mit 11 Jahren verheiratet gewesen.
4. Die mekkanischen Polytheisten hassten den Propheten. Wäre diese Heirat damals eine Schande gewesen, hätten sie ihn mit Sicherheit deswegen angegriffen. (Allerdings sind nur diejenigen Aussagen der Gegner Mohammeds erhalten geblieben, die von Muslimen überliefert wurden.)
5. Der Prophet wollte Abu Bakr belohnen, indem er Aischa, eine seiner Töchter, heiratete. – Auch andere Ehen Mohammeds dienten dazu, seine Beziehungen zu seinen Anhängern zu stärken.
6. In der Zeit nach der Hidschra wurde Mohammed das islamische Gesetz eingegeben. Deshalb war es notwendig, dass eine junge Frau mit dem Propheten zusammenlebte, die in der Lage wäre, viel von der Scharia mitzubekommen, um dieses Wissen später an die Muslime weitergeben zu können.
Dafür waren die Umstände im Leben Aischas besonders günstig: a) Da sie keine Kinder bekam, konnte sie sich völlig auf die Lehren des Islam konzentrieren. b) Da Mohammed sie sehr geliebt hat, hat er ihr alles über den Islam erklärt, was sie wissen wollte. c) Sie lebte 9 Jahre mit Mohammed. Als er starb, war sie 18 Jahre alt. Danach hat sie noch 47 Jahre gelebt und konnte während dieser Zeit die Lehren Mohammeds weitergeben.

Die Überlieferung der Sunna
Für Muslime spielt das Vorbild Mohammeds eine große Rolle. Deshalb besteht nach ihrem Verständnis der Sinn seiner Ehen mit der jungen Aischa und seinen anderen relativ jungen Frauen darin, sie in allen möglichen persönlichen und religiösen Fragen zu belehren, z. B. welches Gebet man während der Nacht der Bestimmung (Lailat-al-Qadr) sprechen sollte, wie die muslimischen Frauen sich von der Menstruation rituell reinigen können etc. So gilt Aischa als diejenige, die den Muslimen die praktische Sunna überliefert hat. Sie hat die größte Anzahl der Hadithen weitergegeben. Etwa 2250 Hadithe bekam sie direkt vom Propheten übermittelt. Sie soll auch die erste Schule für das Erlernen der Islamischen Rechtswissenschaften und Hadithe eröffnet haben. – In dieser Hinsicht ist ihre Rolle als eine der „Mütter der Gläubigen“ natürlich nicht mit der von „normalen“ muslimischen Frauen vergleichbar.

Mythos Lieblingsfrau?
Ob Aischa zu Recht als Mohammeds Lieblingsfrau bezeichnet werden kann, ist unter Muslimen durchaus umstritten. Einige weisen darauf hin, dass Ibn Al-A’bbas gesagt habe: „Bei Allah, unter den Frauen des Propheten bist du die Liebste für ihn gewesen“. Andere berichten allerdings, Aischa selbst habe oft ihren Neid auf seine „Lieblingsfrau“ Chadidscha geäußert, mit der er vorher alleine verheiratet gewesen war. Nach Chadidschas Ableben habe Mohammed alle seine Frauen gleich behandelt und keiner einen Vorzug gegeben. Die späteren Ehen seien zur Einigung der Stämme und zur Stärkung der sozialen Bindungen der Gemeinschaft erfolgt. – Dass Mohammed in Aischas Armen starb, spricht allerdings dafür, dass ihr eine besondere Stellung zukam.

Aischa im Koran
Aischa wird – ohne Namensnennung – im Koran an zwei Stellen erwähnt: Einmal blieb sie auf einer Reise nach einer kurzen Rast versehentlich von der Karawane zurück und wurde daraufhin der Unzucht beschuldigt. Die in der Sure 24 (An-Nur) offenbarten Verse 11ff bewiesen aber ihre Unschuld.
Eine weitere Koranstelle bezieht sich darauf, dass sie (nach der Meinung mancher Ausleger) gegenüber Hafsa ein Geheimnis ausplauderte, das Mohammed ihr anvertraut hatte. Daraufhin wurden die Verse 1-4 von Sure 66 (Al-Tachrim) als Warnung an die beiden Frauen offenbart.

Kamelschlacht
Während der Kalifate ihres Vaters und dessen Nachfolger hatte sich Aischa weitgehend aus der Politik herausgehalten. Erst der wachsenden Rebellion gegen den dritten Kalifen Uthman galt ihre Sympathie. Da sie jedoch genauso gegen ein von Ali, einem Vetter ihres verstorbenen Mannes, geführtes Kalifat war, warf sie ihm vor, die Aufklärung der Ermordung Uthmans nicht voranbringen zu wollen und verdächtigte ihn, an dem Mord selbst beteiligt gewesen zu sein. Gemeinsam mit zwei ehemaligen Gefährten Mohammeds rief sie 656 zu einem Aufruhr gegen den vierten Kalifen Ali auf.
Die Verschwörer konnten binnen weniger Wochen mehrere Tausend Anhänger gewinnen. Damit begann der erste innerislamische Bürgerkrieg, die Fitna. Ali schlug jedoch in der sogenannten „Kamelschlacht“ bei Basra den Aufstand nieder. Die verbliebenen Verschwörer scharten sich um Aischa auf ihrem Kamel. Alis Kämpfern gelang es, zu ihr vorzudringen und ihr Kamel außer Gefecht zu setzen. Sie nahmen Aischa, die die Schlacht unverletzt in ihrer Sänfte überstanden hatte, gefangen. Ali begnadigte sie später und befahl, sie nach Medina zu bringen, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahre 678 lebte.
Aischa starb in der Nacht des 17. Ramadan im Jahre 57 nach der Hidschra im Alter von 66 Jahren. Sie soll kurz vor ihrem Tode entschieden haben, neben den anderen, vor ihr gestorbenen, Frauen Mohammeds beigesetzt zu werden.

Aischa als Vorbild?
Das Leben einer Frau, die in einer völlig anderen Zeit und Kultur gelebt hat, zu beurteilen, ist meines Erachtens weder möglich noch sinnvoll. Allerdings erscheint es nötig, zumindest kurz auf die Frage einzugehen, ob Aischa wirklich als Vorbild gelten kann.
Wenn von Eifersüchteleien etc. zwischen den Frauen Mohammeds erzählt wird, kann man das gewiss als menschliche Schwächen einordnen – wirklich „vorbildlich“ ist es sicherlich nicht. Von größerem Gewicht ist jedoch, dass Aischa treibende Kraft für eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Muslimen war und sich anscheinend nicht für eine friedliche Lösung des Konflikts eingesetzt hat.
Am fraglichsten erscheint mir allerdings, wenn unter Berufung auf Mohammeds Eheschließung mit Aischa z. T. auch heute noch die frühe Verheiratung von Mädchen gerechtfertigt wird. – Diese Anmerkungen beziehen sich allerdings nur indirekt auf Aischa; sie stellen vielmehr die muslimische Grundannahme in Frage, dass es sinnvoll sei, sich das Verhalten von (sündigen!) Menschen aus einer völlig anderen Epoche zum Vorbild zu nehmen und es nachzuahmen.