Was bedeutet Dschihad?
„Dschihad“ leitet sich vom arabischen Verb dschahada ab. Es bezeichnet jede Art von Bemühung oder Anstrengung, ohne erst einmal auf eine kriegerische Komponente anzuspielen. Im Koran findet sich Dschihad in 31 verschiedenen Ableitungen. Häufig wird das Wort um die Formulierung „um Allahs willen“ ergänzt, so dass klar wird, dass der Dschihad auf die Durchsetzung des göttlichen Willens und der göttlichen Bestimmungen abzielt. In den meisten Fällen ist er dort in den Kontext kriegerischer Bemühungen eingebettet. Die frühen Islamgelehrten verstanden deshalb den Dschihad stets im Sinne des Kampfes zur Verteidigung oder Ausbreitung des Islam. Dschihad ist von jedem Muslim auszuführen (4,76; 2,216; 8,15f). Von manchen Randgruppierungen wird er als sechste Säule neben Bekenntnis, Pflichtgebet, Fasten, Almosen und Wallfahrt verstanden. Dschihad umfasst den Kultus (Gebet, Fasten etc.), die Werbung (Da’wa, d.h. Einladung) wie auch den bewaffneten Kampf. Für den Kampf mit der Waffe kennt der Koran einen weiteren Begriff, „qital“ (Kampf, Schlacht; von qatala = töten).
Praxis des Dschihad
Dschihadisten betonen die kämpferische Form des Dschihad als vorrangigen Weg zur Durchsetzung der gottgegebenen islamischen Ordnung auf Erden. Sie lehnen friedlichere Konzepte wie die gewaltlose Propaganda (da‘wa) mit dem langfristigen Ziel der Islamisierung ab und verurteilen diese sogar. Mainstream-Gelehrte dagegen, z. B. der ägyptische Fernsehprediger Yūsuf al-Qaraḍawi, einflussreichster sunnitischer Gelehrter der Gegenwart, rufen dazu auf, vor allem Radio, Fernsehen und Internet für die friedliche Verbreitung des Islam zu nutzen. Doch auch er gesteht den Muslimen das Recht zu, sich mit Waffengewalt zu verteidigen und notfalls auch den Koran und die islamischen Werte notfalls auch mit dem Schwert zu schützen. Eine Schlüsselfrage des zeitgenössischen Dschihad-Diskurses betrifft die so genannten Schwertverse – insbesondere Sure 9,5. Die meisten klassischen Rechtsgelehrten betrachteten diesen Vers als zeitlos gültige Aufforderung, Polytheisten zu töten, wenn sie nicht bereit sind, den Islam anzunehmen. Auf ähnliche Weise leiteten sie aus Sure 9,29 die zeitlos gültige Notwendigkeit ab, Juden und Christen zu bekämpfen, bis sie sich der islamischen Oberherrschaft beugen und kleinlaut Tribut – Kopfsteuer (dschizya) – entrichten. Um sich den Widerspruch dieser Anordnung zu ganz anderslautenden Versen des Koran aus der frühen mekkanischen Zeit Mohammeds zu erklären, entwickelten die großen Gelehrten der Frühzeit die so genannte Lehre der „Abrogation“ (naskh). Danach sollen spätere Verse aus Sure 9,5.29.36.41 gemäßigte frühere Verse in ihrer Gültigkeit aufheben. Nach den früheren Versen sollen Muslime die Menschen „mit Weisheit“ zum Islam einladen und „auf eine möglichst gute Art“ mit ihnen streiten (Sure 16,125), gibt es „keinen Zwang in der Religion“ (Sure 2,256), soll der Kampf sich auf die Wiedervergeltung beschränken (Sure 2,190) und Muslime sollen friedfertigen Nicht-Muslimen friedfertig begegnen (Sure 4,90 und 8,61). An dieses klassische Konzept knüpfen heutige Dschihadisten wie die IS-Ideologen an, wenn sie sich ausschließlich auf diese Gewalt legitimierenden Stellen beziehen. Der Mainstream moderner Gelehrter – unter anderem an der renommierten al-Azhar-Universität in Kairo – steht diesem Gedanken der Abrogation heute eher kritisch gegenüber und verweist bei jeder Stelle auf den jeweiligen Kontext und die Ursachen für die einzelnen Aufforderungen zum Kampf.
Formen und Mittel des Dschihad
Der syrische Gelehrte Ibn al-Qayyim (1292-1350) listete bereits viele zu bekämpfende Feinde auf: Triebseele, Satan, Heuchler, Ungläubige, Häretiker (Irrlehrer) und Apostaten (vom Islam Abgefallene). Als Mittel zum Dschihad gelten: das Herz zur Abwehr gegen satanische Einflüsterungen; die Zunge zum Reden der Wahrheit; die Hände zum Eintreten für das Richtige und das Schwert zum Krieg gegen die Ungläubigen und Feinde des Islam. Letzterer wird vor allem von Sufis als der „kleinere Dschihad“ betrachtet, während der geistige Dschihad (gegen die eigenen niederen Instinkte) der eigentlich „größere Dschihad“ sei. Al-Qaraḍawi erweitert die Liste von möglichen Dschihad-Ebenen um den friedlichen Dschihad der Predigt und Mission (da‘wa), den medialen Dschihad und den „zivilen Dschihad“ (dschihad madani). Letzterer geschieht auf der Ebene der Wissenschaftlichen Forschung, mit sozialen und karitativen Institutionen bis hin zum Umweltschutz, alles mit dem Ziel der Durchdringung der Kultur mit islamischem Inhalt. Im Koran wird neben dem persönlichen kämpferischen Einsatz auch der Einsatz des eigenen Besitzes gefordert (siehe u.a. Suren 61,11 und 9,41). Als Gipfel des Dschihad gilt das Martyrium – der Tod im Kampf für Allah, der u.a. nach Sure 9,111 den direkten Eingang ins Paradies zur Folge hat (s.a. 4,74; 3,195).
Zugrundeliegendes Weltbild für den Dschihad
Im 11. Jh. teilte der Sunnit al-Mawardi die Welt in das „Haus des Islam“ (dar al-islam), in dem der Islam die Vorherrschaft erlangt hat, und das „Haus des Krieges“ (dar al-harb) bzw. das „Haus des Unglaubens“ (dar al-kufr) ein, das keine Existenzberechtigung hat. Die große Mehrheit der frühen Gelehrten ging davon aus, dass die islamische Gemeinschaft unter der Leitung des Kalifen die kollektive Pflicht (fard al-kifaya) habe, das islamische Herrschaftsgebiet schrittweise zu erweitern und die Gebiete der Ungläubigen mindestens einmal im Jahr anzugreifen. Diese Zweiteilung der Welt findet sich aber ausdrücklich weder im Koran noch in den Überlieferungen. Hinter dem traditionellen Konzept steht die koranische Überzeugung, dass die islamische Umma die „beste Gemeinschaft“ (Sure 3,110) auf Erden darstellt und Allah „seinen Gesandten mit der Rechtleitung und der wahren Religion geschickt hat, um ihr zum Sieg zu verhelfen über alles, was es (sonst) an Religion gibt“ (Sure 9,33; s.a. 8,39). Sowohl die frühen Gelehrten als auch die heutigen Dschihadisten sehen das expansive Wesen auch in überlieferten Aussprüchen Mohammeds bestätigt, nach denen dieser bis zur Stunde des Jüngsten Gerichts mit dem Schwert gesandt worden sei, um die Menschen zu bekämpfen, bis sie bezeugen, dass allein Allah Gott ist (z. B.: Sahih al-Bukhari, Band 1, Buch 2, Nummer 24). Mit Blick auf Verse wie Sure 2,193 „Und kämpft gegen sie, bis niemand (mehr) versucht, (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen, und bis nur noch Gott verehrt wird!“ sahen die meisten Gelehrten die islamischen Herrscher berechtigt, Ungläubige allein aufgrund ihres Unglaubens anzugreifen. Als die ersten Eroberungswellen der Kalifen abebbten, entwickelte sich die Vorstellung einer dritten Kategorie: das „Haus des Vertrages“ (dar al-ahd) bzw. das „Haus des Waffenstillstands“ (dar as-sulh). Mit Berufung auf Mohammeds Vorbild ging man davon aus, dass islamische Staaten für eine befristete Zeit den Kampf aussetzen könnten (theoretisch maximal 10 Jahre).
Was sagen islamische Apologeten?
Muslime, die den Islam gegen Vorwürfe des Terrors verteidigen, lehnen die Gleichsetzung von Dschihad mit bewaffnetem „Kampf“ (qital) als unislamische Engführung ab. Sie stützen sich dabei unter anderem auf die wenigen Koranstellen (aus mekkanischer Zeit), in denen sich die Bemühung auf eine nicht-gewalttätige, argumentative Auseinandersetzung mit den Ungläubigen bezog – zum Beispiel Sure 25,52: „Gehorche nun nicht den Ungläubigen, sondern setze ihnen damit (mit dem Koran) heftig zu!“
Christliche Beurteilung
Mohammed hatte zwei Lebensphasen. Eine gewaltfreie Phase in Mekka, bei der ihm nur das Wort als Waffe diente. Eine zweite Phase in Medina, bei der er häufig Gewalt für seine Interessen und zur Verbreitung des Islam einsetzte. Somit können Muslime diese oder jene Seite vertreten. Muslime selbst, Christen und Andersdenkende leiden bis heute weltweit unter den gewalttätigen Formen des islamischen Dschihads. Christen sollten – entgegen mancher Verirrungen in der Kirchengeschichte – das Gewaltmonopol dem Staat überlassen und ihren Glauben ausschließlich durch friedliche Mission, Diakonie und Leidensbereitschaft verbreiten. Sie sind an das durchgehend gewaltfreie Vorbild von Jesus Christus gebunden, der einer gewaltsamen Aufrichtung seines Reiches und Verteidigung seiner Botschaft eine klare Absage erteilt hat. Das heißt: auch im Umgang mit Feinden der Kreuzesbotschaft, wie es Muslime nun einmal sind, sollen sie Feindesliebe üben. Tiefgreifende Veränderung von Menschen und der Gesellschaft kann es nicht durch einen Dschihad mit menschlichen Kräften (in der arab. Bibel gibt es z. B.: 1. Tim 6,12 einen geistlichen Dschihad!) geben, sondern nur durch die Überwindung der Rebellion gegen Gott, wie sie durch das stellvertretende Leiden und Sterben Jesu Christi am Kreuz möglich geworden ist. Die Freiheit des Glaubens und der Entscheidung darüber bleiben immer unantastbar und nicht verhandelbar. Dies sollten wir auch Muslimen gegenüber einfordern – gerade auch in Ländern, in denen der Islam vorherrscht. Im Umgang mit Muslimen auf gesellschaftspolitischer Ebene ist genau zu prüfen, ob der jeweilige Islamfunktionär nur ein einseitiges beschönigtes Bild des Islams präsentiert, während er den kämpferischen Dschihad nur vorübergehend ausklammert, bis ein günstigeres Mächte- und Kräfteverhältnis dafür in Europa herrscht. Oder ob er bereit ist, sich von diesem gewalttätigen Dschihad ganz und vorbehaltlos zu verabschieden. Darauf sollten wir drängen. Muslime in Europa müssen sich, wenn sie es wirklich ernst meinen mit der Integration, vom politischen und militanten Erbe Mohammeds lösen und aufhören, Häretiker und Apostaten zu verfolgen.
Orientierung 2015-04; 13.11.2015
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