Im islamischen Festkalender sind sowohl Spuren der jüdisch-christlichen als auch der arabisch-heidnischen Tradition erkennbar. Die meisten Feste und Gedenktage aber haben rein islamischen Charakter. Sie werden auf Mohammed zurückgeführt, sind allerdings erst im Laufe der Zeit nach ihm ausgeformt worden. Das Festjahr richtet sich nach dem Mondkalender. Deshalb verschieben sich die Feste jährlich jeweils um 10 bis 11 Tage gegenüber dem Sonnenjahr.
Das Opferfest
Als das „große Fest“ gilt das „Opferfest“ (arabisch: al-`id al-kabir oder `id al-adha; türkisch: Kurban Bayramı), das zur Erinnerung an Abrahams Bereitschaft gefeiert wird, seinen Sohn zu opfern. Da der Sohn durch einen Widder ausgelöst wurde, werden in der ganzen islamischen Welt Schafe oder andere Tiere geschlachtet und gemeinsam verzehrt. Es gilt als verdienstlich, vom Fleisch armen Menschen abzugeben oder sie zum Essen einzuladen. Das Opferfest wird am 10. Tag des Wallfahrtsmonats und an den folgenden Tagen gefeiert, also zugleich mit den Pilgern, die an diesem Tag in Mina bei Mekka Tiere schlachten und verzehren. Die Muslime weltweit nehmen gewissermaßen symbolisch an der Pilgerfahrt teil.
Das Fest beginnt mit einem besonderen Festgebet, das in der Morgenfrühe in den Moscheen oder auf besonderen Gebetsplätzen im Freien gehalten wird. An den Festtagen besuchen sich Familien und Bekannte gegenseitig. Besondere Festspeisen werden angeboten. Kinder bekommen neue Kleider, und die Erwachsenen ziehen sich festlich an. Man trifft sich in Parks, in denen besondere Vergnügungen angeboten werden. Viele Menschen suchen aber auch die Friedhöfe auf und erwarten davon besonderen Segen.
In Europa nehmen sich viele Muslime Urlaubstage, um das Fest feiern zu können. Abweichend vom biblischen Bericht hat sich im Islam die Meinung durchgesetzt, dass Ismael und nicht Isaak hätte geopfert werden sollen, da für den Islam der ältere Sohn Ismael wichtiger ist als Isaak, der „Sohn der Verheißung und des Glaubens“. Es spielt im Islam keine Rolle, dass Ismael von Abraham eigenmächtig gezeugt wurde. –
Es ist nicht zufällig, dass das wichtigste islamische Fest an Abraham erinnert. Da er vor Mose und vor Jesus lebte und trotzdem ein frommer Verehrer des einen Gottes war, gilt er als Beweis dafür, dann man nicht Jude oder Christ werden müsse, um Allah in rechter Weise zu verehren und zu dienen. Insofern ist das Opferfest auch eine bewusste Abgrenzung gegenüber Judentum und Christentum.
Das Fest des Fastenbrechens
Als das „kleine Fest“ gilt das Fest zur Beendigung des Fastenmonats Ramadan (arabisch: al-`id as-saghir oder `id al-fitr; türkisch: Şeker Bayramı, d. h. „Zuckerfest“). Es wird ebenso ausgiebig wie das Opferfest gefeiert, da es im Bewusstsein der Menschen nach den Entbehrungen des Fastens fast noch wichtiger ist als das Opferfest. Es beginnt ebenfalls am frühen Morgen mit einem besonderen Festgebet, an dem in erster Linie Männer und einige ältere Frauen teilnehmen. Gefeiert wird dann in ähnlicher Weise wie beim Opferfest. Das Fest des Fastenbrechens wird am 1. Tag des Monats Schawwâl gefeiert, der auf den Ramadan folgt. Traditionell muss der Neumond mit bloßem Auge gesehen werden können. Das kann dazu führen, dass das Fest in einzelnen Ländern um einen Tag zeitversetzt gefeiert wird.
Bereits in den voran gehenden Ramadan-Nächten herrscht in islamischen Ländern eine feierliche Stimmung. Vor dem morgendlichen Beginn des Fastens wird mancherorts das Ramadan-Frühstück mit Trommeln und das Ende des Fastens am Abend durch Kanonenschüsse angezeigt. Die Gebetsrufer laden zum Sonnenuntergangsgebet ein. Es folgt ein üppiges Essen in der Familiengemeinschaft, oft auch mit den Nachbarn. Man besucht sich gegenseitig und bleibt bis weit nach Mitternacht auf. In den Moscheen finden Koranrezitationen, erbauliche Ansprachen und besondere religiöse Übungen statt. Ein religiöser Höhepunkt ist die 27. Ramadan-Nacht, in der oder einer anderen Nacht am Ende des Ramadan nach der Überlieferung Mohammed die erste Offenbarung erhalten haben soll (lailatu’l Qadr; türk.: Kadir Gecesi).
Die Mohammed-Feste
Die weiteren Feste sind Tage, an denen in besonderer Weise an Mohammed gedacht wird. Die Ausgestaltung erfolgte vermutlich in bewusster Abgrenzung zu den Christus-Festen Weihnachten, Ostern und Himmelfahrt Jesu. Außer dem Empfang der ersten Offenbarung durch Mohammed um den 27. Ramadan wird dessen Geburtstag (am 12. des Monats Rabî’ II) und seine angebliche „Himmelsreise“ (Mi’radsch, am 27. Radschab) gefeiert. Die Mohammed-Feste spielen im Sufismus, dem mystischen Islam, und im sogenannten Volksislam eine große Rolle. Die religiösen Bruderschaften veranstalten besondere Umzüge, religiöse Übungen und Feierlichkeiten, an denen viele Muslime teilnehmen und von denen ein besonderer Segen erwartet wird.
Regionale und örtliche Feste
Im schiitischen Islam gedenkt man am 10. Muharram an ein für die Schiiten tragisches Ereignis, die Tötung des Mohammed-Enkels Hussein durch die Krieger des omajjadischen Kalifen Yazid I im Jahr 680 n. Chr. in Kerbela. Hussein gilt als Märtyrer, und sein Tod wird durch „Passionsspiele“ und durch blutige Selbstgeißelungen vergegenwärtigt. Außer Kerbela ist Nadschaf (beide Orte liegen im Irak) für die Schiiten ein wichtiger Wallfahrtsort, da hier Ali, der Schwiegersohn Mohammeds, ermordet wurde. Um die Schreine dieser schiitischen Märtyrer sind prächtige Moscheen gebaut worden, zu denen alljährlich große Menschenmassen pilgern. Außer den großen schiitischen Schreinen und den mit ihnen verbundenen Wallfahrten gibt es in der gesamten islamischen Welt regional und örtlich mehr oder weniger bedeutende Schreine, an denen jährliche Wallfahrtsfeste (Sing. Mûlid) gefeiert werden. Die Erwartung von Segen durch Berührung der Grabbauten, der Schreine und Reliquien der jeweiligen „Heiligen“ spielt dabei eine große Rolle. Vor allem für Frauen sind diese Wallfahrten eine begehrte Möglichkeit, Segen zu erlangen.
Christen und die muslimischen Feste
Die Feste haben für die islamischen Gesellschaften einen sehr hohen Stellenwert. Sie schaffen unter den gemeinschaftlich Feiernden eine große Solidarität. Dies spüren besonders Christen, die als kleine Minderheiten in islamischen Ländern leben. In Europa schweißen die Festtage die muslimischen Gläubigen zusammen. Man ist sich bewusst, zu einer weltweiten Gemeinschaft zu gehören. Deshalb fördern die Feste die Separation von der Mehrheitsgesellschaft.
Für Christen sind die muslimischen Feste aber eine gute Möglichkeit, muslimische Nachbarn und Bekannte zu besuchen, zum Fest zu gratulieren und damit Brücken zu schlagen. Für Christen liegt es nahe, beim Opferfest zu bezeugen, dass Jesus Christus für die Sünden der Menschheit geopfert wurde. Für Muslime ist es kaum zu begreifen, dass ein sündloser „Gesandter Allahs“ an der Stelle sündiger Menschen geopfert worden sein soll, während bei der „Opferung des Sohnes Abrahams“ der wertvolle Sohn des Glaubensvaters durch ein minderwertiges Tier ausgelöst wurde. Gerade in diesem „Skandal“ liegt jedoch die ganze christliche Botschaft! Es ist auch nicht einfach, mit Muslimen über den Sinn bzw. Unsinn des Fastens – der Nahrungsverbrauch steigt im Fastenmonat erheblich an! – zu sprechen. Christen können aber bezeugen, dass ihr ganzes Leben Gott geheiligt ist und sie deshalb nicht bestimmte Fastentage einhalten müssen, sondern täglich zu vielen Dingen Nein sagen, die nicht gottgewollt sind.
Orientierung 2008-03; 15.06.2008
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