Märtyrer im Islam

Wer die Medienberichte verfolgt, hat sie vor Augen: Selbstmordattentäter, die ihr Leben für ein vermeintlich höheres Ziel opfern und andere Menschen mit in den Tod reißen. Wie schade, dass sie ihre besten Jahre und ihre ganze Lebenszeit nicht dafür einsetzen, was wirklich zum Frieden führt! Was geht in Menschen vor, die ihrem meist noch jungem Leben auf solch mörderische Weise ein Ende setzen? Sind es die Paradiesversprechen, die besonders bei jungen Männern die sinnliche Phantasie anregen? Tragen nicht ihre Führer, teilweise ihre eigenen Angehörigen und nicht zuletzt menschenverachtende Medien eine erhebliche Mitverantwortung für dieses Unrecht?

Die Wortbedeutung

Wie das arabische Wort schahid bedeutet auch das entsprechende griechische Wort martys Zeuge, martyrein Zeugnis ablegen, bezeugen. Mit Märtyrer werden heute Christen wie Andersgläubige bezeichnet, die bereit sind, für ihre Glaubensüberzeugung Verfolgung, Leiden und sogar den Tod auf sich zu nehmen. Der Christ als Märtyrer lässt sich Leid zufügen ohne selbst andern Leid zuzufügen. Als Märtyrer im Islam gilt dagegen, wer im Kampf gegen die Ungläubigen oder das Böse den Tod findet, dazu zählen für Islamisten auch Selbstmordattentäter.

Drei Gruppen von Märtyrern

Das Märtyrertum besitzt im Islam einen hohen Stellenwert. Als Märtyrer gelten alle diejenigen, die auf dem Wege Gottes ihr Leben lassen. Den Büchern des Fiqh (der islamischen Rechtswissenschaft) zufolge gibt es drei Gruppen von Märtyrern: 1. Muslime, die bei einem Krieg oder bei einem Überfall von Wegelagerern zu Tode kommen. 2. Muslime, die beim Schutz ihres Eigentums, ihres Lebens, ihres Gewissens oder ihrer Ehre ums Leben kommen oder bei dem Versuch sterben, andere Muslime oder unter dem Schutz von Muslimen stehende Nichtmuslime zu verteidigen. Märtyrer, die diesen beiden Kategorien zuzuordnen sind, werden nur mit einem Totengebet beerdigt. Ihre blutige Kleidung behalten sie am Körper, die Totenwaschung wird bei ihnen nicht durchgeführt. 3. Märtyrer, die am Krieg teilgenommen oder gegen Terroristen gekämpft haben, aber erst später, nicht an den unmittelbaren Folgen dieser Kämpfe, sterben. Auch Muslime, die durch Ertrinken, Verbrennen oder Gebären zu Tode kommen und in der Fremde oder beim Erlernen einer Wissenschaft gestorbene Muslime werden dieser Kategorie zugerechnet; sogar Händler, die aufrichtig Handel treiben und Menschen, die ihre Familien versorgen und dabei umkommen. Nicht zu Märtyrern zu zählen sind laut einer Hadith folgende Menschen: Allahs Gesandter (Mohammed) sagte: Das Blut eines Muslim (zu vergießen) ist nicht erlaubt, außer in einem dieser drei (Fälle): der verheiratete Ehebrecher, Leben um Leben (Blutrache), und der seinen Glauben Verlassende, von seiner Gemeinschaft Getrennte. Dies berichten Al-Buchari und Muslim.

Und die Selbstmordattentate?

Das Institut „Palestinian Media Watch“, das palästinensische Printmedien, Sendungen im Fernsehen und Radio sammelt und analysiert, dokumentiert seit Oktober 2000 eine Verherrlichung des Todes in den öffentlichen Medien – nicht etwa von Seiten radikal-islamischer Bewegungen – sondern auf Initiative der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Leitung von Yasser Arafat. Darin wird Kindern suggeriert, dass es gut sei, den Tod im Kampf gegen den „rassistischen Judenstaat“ zu suchen. Meldung am 21.8.2002: Arafat fordert kleine Kinder auf, „Märtyrer“ zu werden.  Der Selbstmord wird im Islam verurteilt: Und begeht nicht Selbstmord! (4:29) In einer anderen Sure heißt es: Und wer einen Gläubigen vorsätzlich tötet, dessen Lohn ist Gahannam (die Hölle), worin er ewig bleibt. Allah wird ihm zürnen und ihn von Sich weisen und ihm eine schwere Strafe bereiten (4:93). Der Anschlag auf das World-Trade-Center traf auch Muslime, die dort arbeiteten oder sich aus geschäftlichen Gründen aufhielten. Unschuldige Opfer waren überhaupt nicht auszuschließen. Auch in den in die Luft gesprengten Bussen oder Restaurants in Israel gehören in der Regel unschuldige Zivilisten und auch Muslime zu den Todesopfern. Bomben können nicht zwischen Gut und Böse, Unschuldig und Schuldig unterscheiden. Wie also können solche Angriffe nach islamischem Rechtsverständnis akzeptiert werden? Wie sollen wir solche Täter beurteilen? Was war ihre persönliche Motivation und ihre Absicht? Und wenn sie sterben, sind sie dann auch Märtyrer? Ja und nein ist die wohl treffende Antwort, wenn man islamische Theologen befragt. (s. die Fatwas / Rechtsgutachten unter www.islaminstitut.de).

Märtyrer bei den Schiiten

Die Geschichte der Schiiten weist mehrere Märtyrer auf. Es sind Ali und nach ihm noch zehn Männer, die in direkter Linie vom Propheten Mohammed abstammen, die ermordet wurden. Im schiitischen Volksglauben spielt der Märtyrertod al-Husains (Sohn des vierten Kalifen Alis) eine wichtige Rolle.

 Christliche Beurteilung

Als Christen unterscheiden wir zwischen Gesellschaft und Kirche, für Muslime gehören beide eng zusammen. Wir leben mit einer freiheitlich-demokratischen Verfassung, genießen Religions- und Gewissensfreiheit. Muslime werden als Muslime geboren und sollen nach eigener Auffassung auch Muslime bleiben, denn auf Abfall steht eigentlich die Todesstrafe. Insofern ist der Einzelne in seiner Gewissensfreiheit durch das islamische System eingegrenzt. Wir sollen als Christen nicht das Leiden und Martyrium suchen. Jesus weist seine Jünger an, von einer Stadt in die nächste zu fliehen, wenn sie verfolgt werden. Weil Christen aus dieser Welt Herausgerufene sind und als solche leben, können sie grundlos beschimpft, gehasst und verfolgt werden. Jesus sah dies voraus und lehrte seine Jünger, sich klug, doch ohne Hinterlist zu verhalten und sich vor Menschen nicht zu fürchten, weil sie zwar den Leib, nicht aber die Seele töten können (Mt 10,28). Allein zu fürchten ist Gott, der Leib und Seele ins ewige Verderben schicken kann. Nach Offb 20,4 werden christliche Märtyrer wieder lebendig und herrschen mit Christus zusammen tausend Jahre lang.

 

Orientierung 2004-04; 15.09.2004

Sie dürfen diesen Artikel frei kopieren unter Angabe der Herkunft: orientierung-m.de