Mensch – nach den Aussagen des Koran

Der Koran – wie auch die Bibel – spricht vom Menschen immer in seiner Beziehung zu Gott. Der Mensch ist nicht ein Produkt des Zufalls, sondern Geschöpf des Allmächtigen, dem er auch verantwortlich ist. Alle Menschen stammen von einem gemeinsamen Elternpaar ab (Sure 49,13; 4,1) und sind deshalb vor Gott gleich.

Die Erschaffung des Menschen

Gott formte den Menschen aus Ton (15,26) und hauchte dann von Seinem Geist in ihn hinein (15,29). Im Koran finden wir aber nirgends eine Aussage, dass der Schöpfer durch dieses Anhauchen mit Seinem Geist dem Menschen eine besondere Nähe zu Ihm selbst verliehen oder eine persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch hergestellt hat; dass der Mensch „nach dem Bild Gottes“ geschaffen worden sei, kommt im Koran nicht vor. Das Urteil über den von Gott erschaffenen Menschen kann recht unterschiedlich lauten. Einmal sagt Gott (95,4): „Wir haben den Menschen in bester Form erschaffen.“ Dann heißt es aber auch (4,28): „Der Mensch wurde schwach erschaffen“ und (70,19): „Der Mensch wurde ungeduldig (oder: kleinmütig) erschaffen“. In der Koran-Übersetzung von A. Yusuf Ali wird dazu erklärend angemerkt (übersetzt aus dem Englischen): „Nach Gottes Plan sollte der Mensch in der besten Verfassung sein. Damit er seine hohe Bestimmung erfüllen könne, wurde ihm jedoch in einem eingeschränkten Maß freier Wille gegeben. Der falsche Gebrauch dieses freien Willens macht seine Natur schwach, voreilig oder … ungeduldig. Das geschieht durch die eigene Handlungsweise des Menschen; es wird aber von ihm gesagt, er sei so erschaffen worden, weil ihm diese Möglichkeiten bei seiner Erschaffung gegeben worden waren.“ – Es bleibt unklar, ob der Mensch wirklich „gut“ geschaffen worden ist.

Die hohe Stellung des Menschen

Der Mensch wird von Gott eingesetzt als Stellvertreter (Khalifa) – als Herrscher über die Schöpfung an Stelle des Herrschers, Gott selber (2,30). Die Engel sagen allerdings im Blick auf den Menschen zu Gott (2,30): „Willst Du auf ihr (der Erde) einen einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und Blut vergießt..?“ – Es erstaunt, dass sie von vornherein dem Menschen nichts Besseres zutrauen. Gott korrigiert ihre Aussage nicht, erklärt aber auch nicht, warum er dennoch dem Menschen die Herrschaft über die Erde anvertraut. Gott befiehlt dann sogar den Engeln, sich vor Adam niederzuwerfen (2,34; 15,29). (Gewöhnlich ist von „niederwerfen“ im Zusammenhang mit Anbetung die Rede. Ein anbetendes Niederfallen vor Adam würde aber im Widerspruch zum islamischen Prinzip des Tauhid stehen: dass nur Allah alleine angebetet werden darf. Darum sehen islamische Korankommentatoren im Befehl Allahs an die Engel, sich vor Adam niederzuwerfen, die Ehrung des gerade geschehenen göttlichen Schöpfungsaktes, also eine Ehrung des Schöpfers selbst. Doch hier fragt man sich, warum die Engel sich nicht vor Gott niederwerfen sollen.)

Adams Sündenfall

Auch der Koran kennt die Geschichte vom Sündenfall. Hier spielt Iblis, der Satan, eine wichtige Rolle. Aus Überheblichkeit widersetzt er sich als einziger dem Befehl Gottes, sich vor Adam niederzuwerfen. Daraufhin wird er von Gott aus dem Paradies verwiesen, erbittet sich aber Aufschub bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, um nun zu versuchen, die Menschen ebenfalls abirren zu lassen – was ihm auch gelingen soll, außer bei Gottes auserwählten Dienern (Sure 15,34-40). Gott warnt die Menschen vor diesem Versucher, sie lassen sich aber betören und verführen (7,22). Nach dem Koran ist Adams Sünde ein Fehltritt (2,36), nicht Abfall von Gott und Zerstörung der Beziehung zu Ihm. Deshalb ist die Folge auch nicht so schwerwiegend wie im biblischen Bericht: Statt der Ankündigung: „… sonst werdet ihr sterben“ (1. Mose 2,17) warnt Gott den Menschen vor Satan: „Dass er euch nur nicht aus dem Paradies vertreibt und dich unglücklich macht!“ (20,117) Durch die Sünde schadet der Mensch nur sich selber: „Unser Herr, wir haben uns selbst Unrecht getan.“ (7,23) Adam wird allerdings von Gott irgendwie wieder zurechtgebracht. „Hierauf erwählte ihn sein Herr und er wandte sich ihm wieder zu und leitete ihn recht“ (20, 122) – ohne dass erwähnt wird, ob und in welcher Weise Gott sich mit dem Problem der Sünde befasst. Weder scheint der Mensch ein Knecht der Sünde geworden zu sein, so dass er Erlösung bräuchte, noch erscheint die Beziehung zu Gott als so gestört, dass Versöhnung nötig wäre. Adam und Eva werden zwar aus dem Paradies vertrieben, aber ihnen wird gesagt: „Wenn dann von mir eine Rechtleitung zu euch kommt, dann haben diejenigen, die meiner Rechtleitung folgen, nichts zu befürchten und sie werden nicht traurig sein.“ (2,38f) – Angesichts der Tatsache, dass der Islam den Gedanken der „Erbsünde“ vehement ablehnt, erstaunt es, wie pessimistisch der Koran an vielen Stellen über den Menschen redet: Der Mensch ist ungerecht und undankbar (14,34), voreilig (17,11), geizig (17,100), ungehorsam (80,23), frevelhaft (96,6) und stürzt sich selbst ins Verderben (103,2).

Die Bestimmung des Menschen

Alle Menschen befinden sich in derselben Stellung vor Gott wie die Stammeltern bei ihrer Erschaffung; trotz ihrer Schwäche haben sie die Fähigkeit, ihre von Gott gewollte Bestimmung zu erfüllen: „Und ich habe die Dschinn und Menschen nur dazu geschaffen, dass sie mir dienen.“ (51,56) Der wahre Gottesdienst besteht im Befolgen der richtigen Religion (30, 30): „Richte nun dein Antlitz auf die Religion als Anhänger des reinen Glaubens! Das ist die natürliche Art, in der Gott die Menschen erschaffen hat. Die Art und Weise, in der Gott (die Menschen) geschaffen hat, kann nicht abgeändert werden. Das ist die richtige Religion.“ Diese Urreligion (42,13) ist der Islam. Der Mensch ist also als Muslim erschaffen worden; auch jedes Kind wird eigentlich als Muslim geboren und erst durch seine Umgebung zu einem Anhänger einer der verfälschten Religionsformen gemacht. Der Mensch steht immer zwischen der Gefährdung durch die Versuchung Satans einerseits und dem gnädigen Angebot der göttlichen Leitung andererseits (vgl. Bouman, Gott und Mensch im Koran, S. 16).

Die Verantwortlichkeit des Menschen

An vielen Stellen betont der Koran, dass der Mensch für sein ewiges Geschick selber verantwortlich ist. Da Gott den Menschen durch die Gesandten die Rechtleitung zukommen ließ, ergibt sich aus der Stellung zu ihnen das Schicksal bei der letzten Abrechnung (7,35-37). Wer Muslim ist, kann hoffen, ins Paradies eingelassen zu werden, vielleicht auch noch einige von den „Leuten des Buches“, auf keinen Fall aber die Götzendiener, die Allah andere Götter zur Seite stellen. – Alle, die sich von Satan haben irreführen lassen, werden am Tag des Gerichts gefragt werden: „Habt ihr denn keinen Verstand gehabt?“ (36,62) Andererseits klingen manche Koranverse aber so, als ob Gott gar nicht alle Menschen auf den rechten Weg leiten wolle: „Und wenn dein Herr gewollt hätte, hätte er die Menschen zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber sie sind immer noch uneins, ausgenommen diejenigen, derer dein Herr sich erbarmt hat. Dazu (d. h. damit sie uneins seien und von der Wahrheit abirren) hat er sie (d. h. die Menschen) geschaffen. Und das Wort deines Herrn ist in Erfüllung gegangen (das besagt): ,Ich werde wahrlich die Hölle mit lauter Dschinn und Menschen anfüllen.‘“ (11,118+119 nach Paret; vgl. auch 32,12+14 und 7,179)

 

Orientierung 2001-06; 15.12.2006

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