Vergibt Allah? – „Vergebung” im Koran

Zu den „99 schönsten Namen Allahs” gehören auch: Al-Ghaffar (der viel Vergebende – 93-mal im Koran) und Al-Ghafur (der Vergebende – 91-mal im Koran). „Vergebung“ ist ein wichtiges Thema im Koran. Dabei werden die gleichen Begriffe benutzt wie in der arabischen Bibel. Wenn man allerdings den Zusammenhang beachtet, in dem sie jeweils stehen, treten deutliche Unterschiede im Verständnis von Vergebung zutage.

Vergebung für die Gläubigen

Zunächst scheint nach dem Koran das Verhalten des Menschen entscheidend zu sein: Denn auf Allahs Vergebung hoffen können die Gläubigen (Sure 57,28), die Frommen, Wahrhaftigen, Geduldigen und Demütigen (33,35). Wer glaubt und das Gute tut, erhält Vergebung (29,7). Den Ungläubigen vergibt Allah nicht (47,34; 9,80; 4,168f). Vergebung oder die Verweigerung von Vergebung erscheint demnach als ein Aspekt des vergeltenden, d. h. belohnenden oder bestrafenden Handelns Gottes. Dass Gott die Sünder liebt und von Seiner Seite aus eine „Vorleistung“ erbringt, um sie von ihrer Schuld zu befreien, wie das die Bibel (z. B. in Röm 5,8) bezeugt, ist im Islam undenkbar. Denn: „Gott liebt die Ungläubigen nicht“ (Sure 3,32).

Vergebung – „wenn Gott will”

So sehr im Islam Gottes vergeltendes Handeln betont wird: im Zusammenhang von Schuld und Vergebung wird jedoch letztlich nicht nach Gottes Gerechtigkeit gefragt: ob es etwa mit Seiner Gerechtigkeit vereinbar sei, wenn Er Schuld ungestraft lässt. Er kann vergeben, wenn Er will. So kann es im Koran heißen: „Allah vergibt, wem er will“ – ohne alle Vorbedingungen (Sure 48,14; 2,284; 5,18). Die Vergebung steht letztlich unter Gottes Allmacht. Dem gegenüber betont die Bibel, dass die Schuld wirklich beseitigt wurde (1. Petr 2,24), indem Jesus Christus stellvertretend für alle Menschen die Strafe für die Sünde, den Tod, erduldet hat (Jes 53,5; 1.Kor 15,3) – und dass Gott „treu und gerecht“ ist, wenn Er auf dieser Grundlage demjenigen vergibt, der seine Schuld bekennt (1.Joh 1,9).

Gewissheit der Vergebung?

Vergebung ist im Islam zum einen abhängig vom menschlichen Verhalten, durch das jemand sich der Vergebung würdig oder unwürdig erweist, letztlich aber vom unvorhersehbaren Willen Gottes; deshalb kann kein Mensch zu Lebzeiten wissen, ob er am Tag des Gerichts Vergebung erhalten und in die Paradiesgärten eingelassen, oder ob er ins Höllenfeuer geworfen werden wird. – Gewissheit der Vergebung und des Eingangs ins Paradies wird nur denjenigen zugesagt, die als Muslime im Kampf „auf dem Weg Gottes“ getötet werden (47,4-6; 3,157 und 169-171). Nach dem biblischen Zeugnis können Menschen wissen, dass ihre Sünden vergeben sind. Denn die Schuld ist „rechtmäßig” bezahlt, und Gott selber bietet allen, die an Jesus Christus glauben, Vergebung und ewiges Leben an.

Vergebung und Versöhnung

Nach islamischer Auffassung schadet durch die Sünde der Mensch sich selber. So sagte Adam nach dem Sündenfall: „Unser Herr, wir haben uns selbst Unrecht getan. Und wenn Du uns nicht vergibst und dich unser erbarmst, werden wir bestimmt zu den Verlierern gehören.“ (7,23) Das gilt generell im Koran: „Wer eine Sünde erwirbt, erwirbt sie zu seinem eigenen Schaden.“ (4,111) Umgekehrt kann es heißen: „Wer sich einsetzt, setzt sich zum eigenen Vorteil ein. Gott ist ja auf die Weltenbewohner nicht angewiesen.“ (29,6) Die menschliche Sünde betrifft Gott eigentlich nicht. Die Menschen sind Seine Diener, die Ihm Gehorsam schuldig sind; ihre Taten wird Er belohnen oder bestrafen – oder vergeben. Die grundsätzliche Beziehung zwischen Gott und Mensch wird durch das menschliche Tun nicht berührt – außer durch die Sünde des „Schirk”: dem einen und einzigen Gott andere (selbst gemachte) Götter zur Seite zu stellen. Diese Sünde ist Rebellion, dem Hochverrat im politischen Bereich vergleichbar, und für sie gibt es keine Vergebung (4,48). Solche Götzendiener haben in dieser Welt schon und erst recht im Jenseits eigentlich keine Lebensberechtigung (13,33f; 9,17+113; 17,39). Alle anderen Sünden kann Allah den Gläubigen vergeben. Mehr als Vergebung ist nicht nötig. Der biblische Gedanke, dass durch die Sünde die Beziehung des Menschen zu Gott zerstört worden ist und nur durch Versöhnung wieder hergestellt werden kann, findet sich im Koran nirgends. Ebenso fehlt das Wissen, dass der Mensch durch das Tun von Sünde unter die Herrschaft der Sünde geraten ist und Befreiung (Erlösung) braucht (Joh 8,34-36).

 

Orientierung 2002-03; 15.06.2002

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