Träume scheinen gut zur Weihnachtszeit mit ihrer Atmosphäre der geheimnisvollen Erwartung zu passen. Nach dem Bericht des Evangelisten Matthäus spielten auch in der Zeit vor und nach der Geburt von Jesus Christus Träume eine wichtige Rolle. Aber „romantische“ Weihnachtsträume waren es nicht.
Wir Menschen träumen – nicht nur im Schlaf und mit geschlossenen Augen. Wir erträumen uns unsere Zukunft. Unsere Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte können uns ganze Filme vorspielen. Je nach Neigung und Fantasie spielen wir selber mit oder führen sogar kräftig Regie – und die Bilder werden oft umso bunter und heller, je eintöniger und düsterer die Gegenwart aussieht. Unser Leben aber läuft gewöhnlich nach einem ganz anderen Drehbuch ab.
Wenn Gott sich „einmischt“
Josef, der „Verlobte“ der Maria, war nach damaliger Sitte eigentlich schon rechtlich mit ihr verbunden, lebte aber noch nicht in ehelicher Gemeinschaft mit ihr. Sicherlich erträumte er sich eine gute, harmonische Ehe und freute sich schon auf die bevorstehende Hochzeitsfeier. Da musste er erleben, dass seine Lebensträume total durcheinander gewirbelt wurden: „Als Maria … dem Josef verlobt war, wurde sie, ehe sie zusammengekommen waren, schwanger befunden“ (Mt 1,18). Das war für Josef zweifellos ein ziemlicher Schock. Unter solchen Umständen kam es für ihn als gerechten, gottesfürchtigen Mann natürlich nicht mehr in Frage, mit Maria in einer Ehe zusammen zu leben. Die einzige mögliche „Liebestat“ war noch, seine „Frau“ nicht öffentlich in Schande zu bringen – mit all den katastrophalen Konsequenzen, die das für ihr Leben gehabt hätte. Darum überlegte er, sie durch eine private Übereinkunft zu entlassen (eine Art Scheidung vor der Hochzeit). Eine Notlösung, die weder seine zerstörten Lebenspläne wieder herstellen würde, noch den Schmerz lindern konnte, dass seine Verlobte ihn so enttäuscht hatte.
In diese Gedanken hinein „erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum“ (Mt 1,20). Er übermittelte ihm nicht irgendwelche Bilder, die noch eine Deutung nötig gemacht hätten, sondern ganz klare, eindeutige Worte: „Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ (Mt 1,20f)
Zu allem, was Josef sich für sein Leben erträumt haben mochte, stand das wahrscheinlich völlig quer. Ob er überhaupt auf einen „Retter“ gewartet hatte? Ob ihm nicht – wie vielen anderen zu seiner Zeit – eine andere Rettung viel wichtiger gewesen wäre als die von den Sünden: dass endlich die römische Besatzungsmacht aus dem Land vertrieben würde!? Oder die Befreiung von den drückenden Sorgen des Alltags … Und wenn schon Gott einen Plan hatte, Sünder zu retten, dann war es sicherlich nicht Josefs Wunschtraum gewesen, darin in solcher Weise eine Rolle zu spielen!
Von seinen Gedanken und Empfindungen wird nichts berichtet: ob er es doch als eine Ehre ansah, für diesen von Gott gesandten Retter Ernährer und Erzieher sein zu sollen; ob er es als eine schwere Verantwortung empfand; ob er erst nach einer Zeit inneren Widerstrebens sich bereit fand, diese Aufgabe zu übernehmen … – Es klingt so schlicht, und vielleicht war es auch so: „Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.“ (Mt 1,24f)
„Traumziel“ Flüchtling?
Aber die Umwälzung seiner Lebenspläne ging weiter: statt in Ruhe an den Aufbau von beruflicher Existenz und Familie denken zu können, träumte Josef wieder einen Traum, der ihm „im Traum nicht eingefallen“ wäre. Wieder erschien ihm ein Engel des Herrn: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter zu dir und fliehe nach Ägypten, und bleibe dort, bis ich es dir sage! Denn Herodes wird das Kindlein suchen, um es umzubringen.“ (Mt 2,13) – Als Flüchtling und Ausländer leben zu müssen, vor sich eine ungewisse Zukunft, Gefahren unterwegs, Fremder in einem „heidnischen“ Land – das hatte er sich wahrlich nicht erträumt. – Gewiss: der Traum war lebensrettend für Josef und seine Familie – wohl vor allem für das Kind.
Alles für das Kind
In den Träumen Josefs drehte sich alles um das Kind: Das Kind sollte vor dem Zugriff des Herodes gerettet werden. Auch im nächsten Traum Josefs ging es wieder um das Kind: er solle mit dem Kind und seiner Mutter in das Land Israel zurückkehren, denn „sie sind gestorben, die dem Kind nach dem Leben trachteten.“ (Mt 2,20) Die Wünsche Josefs werden gar nicht erwähnt. Josef sollte tun, was ihm gesagt wurde. Noch einmal wird berichtet, dass er träumte, und wieder ist es nicht ein „Wunschtraum“: „als er im Traum eine göttliche Weisung empfangen hatte, zog er hin in die Gegenden von Galiläa“ (Mt 2,22). Wieder geht es um Gottes Plan mit dem Kind: Josef „kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er (Jesus) soll Nazoräer heißen.“ (V.23)
Keine Traumwelt
In den Träumen wurde dem Josef keine Traumwelt vorgegaukelt. Er sah unsere sehr reale Welt: selbst der Retter, der einmal am Kreuz sterben sollte, musste noch gerettet werden, damit er nicht schon vorher beseitigt wurde! – Dass wir in einer Welt der Sünde leben, wo Herrschende nur ihren Machterhalt sichern wollen und dabei „über Leichen gehen“, ist kein Albtraum, sondern leider Realität. Für große und kleine Tyrannen spielt Gott keine Rolle – und wenn ihnen zehnmal mitgeteilt würde, dass ein Prophet irgendetwas gesagt habe (vgl. Mt 2,5f)! Wir leben in einer Welt, wo Gott, wie es scheint, den Herrschenden immer wieder einmal eine Weile „zusieht“ und sie gewähren lässt – mit allen schlimmen Folgen – und doch mitten im Chaos Seine Pläne verfolgt und Seine Akteure zu retten weiß.
Diese Welt braucht nichts so sehr wie „Rettung von ihren Sünden“ und vom ewigen Tod – und ist an nichts so wenig interessiert. Aber dadurch lässt Gott sich nicht beirren: Auch in Josefs Träumen redete Er nicht von menschlichen Wunschträumen, sondern von Seinem Plan der Rettung – und Er sandte den Retter.
Gerade weil die Träume Josefs seine Wunschträume durchkreuzten und vordergründig viele seiner Lebensträume zerstört haben mögen, zeigen sie umso deutlicher Gottes „Handschrift“: Sein Plan, uns Menschen von unseren Sünden zu erretten, steht im Mittelpunkt – und bei Ihm dreht sich alles um „das Kind“ – um den Sohn, den Gott durch die Engel ankündigen lässt: „Euch ist heute der Retter geboren!“
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