Neue Möglichkeiten durch die EU: Die Bulgartürken und Europa
Die politische Entwicklung der EU wird von vielen Problemen begleitet, eröffnet aber auch erstaunliche Möglichkeiten für die Gemeinde Jesu in Bulgarien und im übrigen Europa.
1990 hörten wir zum ersten Mal von türkisch-christlichen Gemeinden in Bulgarien. Und tatsächlich entdeckten wir dort viele christliche Gemeinschaften.
Abwanderung ins Ausland
Bedingt durch die Wirtschaftskrise gingen zu Beginn vorwiegend die Männer als Saisonarbeiter ins Ausland. Doch seit dem Beitritt Bulgariens zur EU 2007 wandern immer mehr vollständige Familien aus. Die Bevölkerung Bulgariens ist von einem Höchststand von 9,5 Mio. im Jahre 1985 auf heute (2017) 7,1 Mio. geschrumpft: ca. 1,5 Mio. leben im Ausland. Der monatliche Durchschnittslohn liegt in Bulgarien bei 235 Euro. Es ist das billigste Land in der europäischen Union. Trotzdem reicht es nicht zum Überleben. Doch neben der Arbeitslosigkeit ist Verschuldung einer der Hauptgründe für die Auswanderung.
Berufliches Desaster
Da fast niemand unter den Gläubigen, die meist bulgarische Türken sind, eine weitere Fremdsprache spricht, sucht die überwiegende Mehrheit Anstellung bei Türken. Dadurch werden langfristig Deutschland, Großbritannien und die Beneluxländer die meisten Immigranten aus Bulgarien aufnehmen. Kaum jemand kann eine berufliche Qualifikation vorweisen. Darum müssen sie sich in der Baubranche, bei Putzfirmen oder in türkischen Läden und Restaurants verdingen. Die alteingesessenen Türken aus der Türkei nutzen die wirtschaftliche Notlage der aus Bulgarien stammenden Türken häufig aus und lassen sie oft für einen Hungerlohn arbeiten. Es ist auch nicht selten, dass ihnen nach Monaten geleisteter Arbeit kein Lohn bezahlt wird. Da die meisten bulgarischen Türken illegal oder als Scheinselbstständige arbeiten, müssen sie sich jede Ungerechtigkeit gefallen lassen. Sehr viele kommen ohne Krankenversicherung nach Europa; so ist jede Krankheit, jeder Unfall ein massives Risiko.
Die Herausforderung christlicher Gemeinschaften
Dennoch sind in den letzten Jahren in Deutschland, Holland, Frankreich und Spanien Dutzende von christlichen Gruppen entstanden (in vielen Fällen kann man noch nicht von einer Gemeinde sprechen), in denen sich türkische Gläubige aus Bulgarien treffen. Diese machen fast alle geistlich eine Veränderung durch. Materialismus wird zum bestimmenden Faktor in ihrem Leben, nur wenige suchen aktiv die Gemeinschaft mit anderen Christen. Wenn aber ein Anfang gemacht und eine Gemeinschaft gestartet wurde, zieht sie andere Türkischsprachige an.
Chancen und Herausforderungen
Chancen und Herausforderungen, denen sich diese Gemeinden gegenüber sehen, sind:
- Sprache: an vielen Orten leben Bulgaren, Millet, Roma und Türken aus Bulgarien in einem Viertel. Soll die Gemeinde auf der türkischen Sprache bestehen oder sich auf Bulgarisch als gemeinsamen Nenner einigen?
- Evangelisation der Bulgartürken: viele, die im Heimatland Hemmungen oder Vorurteile gegen das Christentum haben, sind in der Fremde offener.
- Evangelisation von Türken aus der Türkei: die Gemeinden bieten etwas, was in vielen Konvertiten-Gemeinden noch fehlt – ein fertiges soziales Umfeld. Männer, Frauen, Kinder, Jugendliche – alle drücken ihren Glauben ganz natürlich auf Türkisch aus. Das kann für Konvertiten eine gesunde Atmosphäre bieten, die bisher nicht gegeben war.
- Stabilität: Sie ist der wichtigste Faktor. Bisher hat nur eine Minderheit der Auswanderer eine klare Entscheidung für das neue Heimatland getroffen. Die meisten planen, nach einigen Jahren wieder zurück zu gehen. Aber auch den ersten Gastarbeitern in den 60er Jahren ging es nicht anders. Heute, in der dritten Generation, fühlen sich die meisten immer noch der Heimat ihrer Großeltern verbunden, ohne jedoch ernsthaft daran zu denken, in die Türkei zu ziehen. Eine ähnliche Entwicklung werden wahrscheinlich auch die Bulgartürken erleben. Je eher sie sich jedoch in die neue Heimat integrieren, umso effektiver werden sie für den Herrn leben können.
Orientierung 2013-04; 05.09.2013
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