Anspiel: „Der orientalische Vater und seine verlorenen Söhne“ (evtl. mit Powerpoint-Bilder vom verlorene Sohn)
Spieler: Vater, Sohn, 3 Diener, 2 Städter, 1 Käufer; Kleiderstoffe umhängen, Sprecher wenden sich gegenseitig zu, schlagen, laufen weit weg, zwei Stühle. Sprecher stehen in Gruppen. Sohn und Vater verschwinden hinter den anderen, wenn sie nicht dran sind. Stück muss kann auch von den Spielern spielend vorgelesen werden.
(Diener unterhalten sich:)
Diener 1: Hast Du schon gehört, dass die Beziehung unseres Herrn zu seinem jüngsten Sohn kaputt gegangen ist?
Diener 2: Klar, wer hat das nicht? Was Martin sich herausnimmt ist unerhört. Vater und Sohn müssen bei uns doch zusammenhalten, egal was kommt, wir leben schließlich nicht im Westen, wo jeder macht, was er will.
Diener 1: Genau! Ich z. B. werde aufgewertet, wenn ich einen Sohn bekomme und mein Name wird nach ihm benannt.
Diener 2: Deshalb heißt unser Herr ja auch Abu-Martin, Vater des Martin.
Diener 1: Ich erinnere mich, wie mein 50-jähriger Sohn mir die Hände geküsst hat.
Diener 3: Genau so gehört sich das! Meinem 20-jährigen Sohn habe ich kürzlich die Autoschlüssel seines Wagens weggenommen. Auch wenn er schon verdient, muss schließlich klar sein, wer hier das Sagen hat.
(Diener hören Vater und Sohn zu:)
Vater: Martin, warum bist Du schon zuhause von der Arbeit? Bist Du krank?
Sohn: Nein, Vater, ich muss weg, weit weg. Ich brauche viel Geld, um zu meinem Ziel zu kommen. Ich brauche mein Erbe jetzt!
Vater: Aber Sohn, so etwas tut man in unserer Gesellschaft nicht. Warum willst Du Dich und Deinen Ruf für alle Zeiten ruinieren?
(Diener unterhalten sich:)
Diener 1: Sieh doch, sein Sohn besteht darauf, alles von unserem Herrn einzusacken. Das ist so, als ob er seinem Vater sagen würde: „Ich wünschte, du wärst tot!“
Diener 2: Das kann sich keiner von uns leisten. Es ist völlig unvorstellbar. Dieser ungehorsame Sohn entehrt seinen Vater Abu-Martin. Jetzt wird er seinen Sohn gleich verdreschen, entehren und als Sohn enterben…
(Sohn verschwindet hinter Städtern) – (Vater unterhält sich auf dem Markt:)
Vater: Ich muss Ackerland verkaufen. Was gebt Ihr mir für die 20 Hektar am Zedernwald?
Käufer: Warum willst Du verkaufen? Hast Du Schulden? – Nein? – Wieder Ärger mit Deinem Sohn? – Wussten wir es doch! Dem musst Du den Kopf waschen oder am besten fortjagen. – Nun gut. Ich zahle Dir 100 Silberstücke für den Acker.
Vater: Das ist kein fairer Preis. Das müssen mindestens 200 sein.
Käufer: Für deinen Sohn ist nicht mehr drin. Mehr gebe ich nicht.
Vater: Ich gebe dir die 20 Hektar nur, wenn Du von mir für denselben Preis die 10 Hektar am Fluss kaufst.
Käufer: Neee, das lohnt sich nicht. Da zahl ich drauf.
Vater: Gut, wenn Du nicht willst… Dann verkaufe ich meinen Acker eben woanders!
Käufer: Waaaaas? – Nun gut, ich will mal nun nicht so sein. Du hast mich über den Tisch gezogen. Da will ich mal großzügig sein und dann das… Hier meine Hand darauf.
(Vater geht weit fort.)
Käufer: Was hat der nur für einen Sohn? Den hätte ich in Schimpf und Schande fortgejagt.
(Diener unterhalten sich:)
Diener 3: Martin ist abgezogen. Wie man hört, führt er ein Lotterleben ohnegleichen in Übersee. Woanders wohlgemerkt, das erspart unserem Herrn, es mit ansehen zu müssen, und bringt weniger Schande als im eigenen Städtchen.
Diener 2: Wenigstens das!
Diener 3: Ja, aber ich hörte von jemand, der jemand kennt und der kennt wieder jemand, dass Martin abgebrannt ist und überlegt wieder heimzukommen. Stell Dir das mal vor!
Diener 2: Waaas? Unglaublich! Vermutlich wird er dann zuerst seinen älteren Bruder kontaktieren. Weil direkt unter die Augen seines Vaters zu kommen, ist ja undenkbar.
Diener 3: Ich sah kürzlich in einem Spielfilm aus Hollywood, dass die im Westen direkt jemand um Entschuldigung bitten. Das ist ja der Gipfel der Schamlosigkeit.
Diener 2: Wir machen das besser. Wir schicken lieber jemand anderen. Das drückt aus, dass man seine Schuld und Schande begreift. Wenn jemand ausweicht, heißt das: er ist sich seiner Schuld bewusst.
Diener 3: Ob das alles so funktioniert mit dem Martin, bezweifle ich. Die Beziehung zum älteren Bruder ist doch grotten-schlecht.
(Der jüngere Bruder kommt in die Nähe seiner Heimatstadt; Leute bewerfen ihn mit Steinen und spucken vor ihm aus)
Stadtbewohner 1: Wen bewerfen die Leute denn dort mit Steinen? Schaut mal, wer kommt den da? Das ist doch Martin. Komm, da machen wir mit. … Sohn der Schande, Hurensohn, was willst Du bei uns?
Stadtbewohner 2: Willst Du unsere Stadt auch noch versauen? „Dschooock ayip.“ Eine abscheuliche Schande hast Du auf uns gebracht.
(Stadtbewohner schlagen auf ihn ein. Der Vater sieht ihn von Weitem, joggt auf der Stelle noch weit weg)
Diener 1: Die Stadtbewohner schlagen auf den Sohn unseres Herrn ein. Schau mal der Vater rennt. Das ist ja der Hammer. So was habe ich noch nie gesehen. Lächerlich!
Diener 2: Wie kann unser angesehener Herr nur so rennen?
Diener 1: Wenn jemand rennt, ist das entweder ein Dieb oder jemand, der einen Dieb jagt.
Diener 2: Wer rennt, ist nicht der Ehre würdig.
Diener 1: Unser Herr hat das richtige Benehmen vergessen. Er rennt!
Diener 2: Ruinierter Status, kann man da nur sagen. Kleidung, Aussehen, Körperhaltung und Gebärden zeigen doch, ob jemand auf sein Ansehen achtet. Nur nicht zu schnell lächeln, wenn man wichtig ist! Aber so was?!
Diener 1: Schau mal, er entblößt seine Beine, indem er sich das Gewand hoch gürtet. Einfach unglaublich.
(Vater kommt rennend an und stellt sich schützend vor den Sohn und umfasst ihn. Er schützt ihn vor den Blicken und Steinen, küsst Sohn)
Vater: Mein Sohn, mein Sohn, lasst ihn doch in Ruhe. Das ist mein geliebter Sohn, er war tot und ist wieder lebendig geworden. Seht ihr nicht, das ist mein Sohn.
(Stadtbewohner unterhalten sich:)
Stadtbewohner 1: Abu-Martin muss die letzte Sicherung durchgebrannt sein. Er verstößt gegen alles was gut und richtig ist. Das kann er doch nicht machen. Einen solch abscheulichen Verwandten kann man nur zum Teufel jagen. Er hat die Ehre der ganzen Familie beschmutzt. Was ist bloß los mit Abu-Martin?
Stadtbewohner 2: Tja, wenn ich so überlege: Schande braucht nicht nur Vergebung, sondern auch Annahme! Wenn der Vater diesen Martin küsst, diesen stinkenden, verlausten Sohn, dann heißt das schon was. Wir Männer im Orient küssen uns auf die Wangen. Ja, das ist ein Ausdruck für Annahme und Freundschaft. Untergebene küssen wir nicht.
(Vater zu Dienern:)
Vater: Bringt sofort das beste Kleid und einen Familienring her. Mein Sohn muss wieder ganz mein Sohn sein. Ich will ihn wieder in seinen alter Status einsetzen und nichts weniger.
(Diener unterhalten sich:) – (Vater setzt sich mit Sohn auf Stühle)
Diener 3: Ja, Status durch diese „Äußerlichkeiten“. Das kennen wir.
Diener 2: Weißt Du noch, als unser Herr mir kürzlich seinen Umhang überwarf? Das war ein einmaliges Gefühl.
Vater: Bereitet ein großes Fest für meinen Sohn vor, schlachtet das beste Tier. Auf geht’s!
Diener 3: Schon lange kein Fleisch mehr gegessen.
Diener 2: Fleisch gibt es eben nur zu besonderen Anlässen.
Diener 3: Gastfreundschaft hat unser Herr immer schon großgeschrieben, da lässt er nichts auf sich kommen und nun solch ein „Ehrengast“.
(Vater steht auf, zum Diener) – (Vater steht auf, jüngerer Sohn bleibt sitzen)
Vater: Was ist mit Martins älterem Bruder? Warum ist er nicht hier beim Fest?
Diener 1: Aber Abu-Martin, bleiben Sie doch sitzen. Sie sollten als Gastgeber doch nicht während des Festes aufstehen müssen. Lassen Sie uns das machen!
Vater: Ach was! Lass mich zu meinem Erstgeborenen.
(Vater geht) – (Diener untereinander:)
Diener 1: Eigentlich hätte Abu-Martin sofort uns zum ungehorsamen älteren Sohn schicken müssen.
Diener 2: Wir hätten ihn schon gepackt und ihn nach dem Fest ordentlich für seine Nichtbeachtung des Vaters verdroschen. Dann wäre die Ehre des Vaters wiederhergestellt.
Diener 1: Doch auch hier will der Vater den zweiten verlorenen Sohn zurückgewinnen.
Der Vater entehrt sich für alle, um sie zurückzugewinnen. Das ist die Botschaft, die wir Orientalen hören. Da fällt mir ein, was von Jesus Christus gesagt wurde:
„der die Schande nicht achtete und das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes“ (Hebr 12,2).
(überarbeitet aus der Zeitschrift Orientierung 2/2008 „Ehre und Schande“ von M.Knödler und KZE-Team Frankfurt 2008. www.orientdienst.de)
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