Ein ungewöhnlicher Lebensweg

Ramazan aus Sivas ging in eine Kirche, um ein Mädchen zu schnappen, und kam als Pastor wieder raus

 

Haben Sie jemals von einem (christlichen) Pastor mit Namen Ramazan gehört?

Hatte ich früher auch nicht. Als ich in Antalya hinter einer anderen Nachricht her war, erfuhr ich zufällig von einem Pastor mit diesem Namen. Als ich ihn schließlich gefunden hatte und mit ihm telefonierte, sagte er, als wäre es etwas völlig normales: „Ich weiß zwar nicht, warum Sie ausgerechnet mit mir reden wollen, aber kommen Sie nur!”

Ich bin dorthin geflogen. Was ich hörte, war die Geschichte der „Suche im Leben“ eines 28-jährigen jungen Mannes. Seit 2,5 Jahren ist er der Pastor der St.-Paulus-Kirche in Antalya. Er hat eine Gemeinde von 150 Personen. Doch seine Geschichte besteht nicht nur daraus: Er war das zunächst (überzeugt) muslimische und später atheistische Kind einer muslimischen Mutter und eines atheistischen Vaters. Er wurde zum Sympathisanten der DKHP-C, wurde von „Ülkücüs“ geprügelt („bis zu Kopfbruch und blaugeschwollene Augen“), ging in eine Kirche, um ein Mädchen zu schnappen, und wurde schließlich Christ.

Ich fange vielleicht sehr direkt an, aber: Sie heißen Ramazan, sind aber von Religion Christ. Wie geht das? Was für ein Selbstvertrauen?

– Den Namen gab mir meine Großmutter väterlicherseits. Die meinen Namen kennen, jedoch nicht meine Arbeit, halten es für einen Witz und lachen darüber, wenn sie hören, dass ich Pastor bin. Mich hat mein Name nie gestört, ich hatte nie das Bedürfnis, ihn zu ändern. So wie es ist, sind die Leute noch neugieriger, wieso ich Christ bin. Eine Gelegenheit zum Zeugnis!

Ihre Familie, die Ihnen den Namen Ramazan gegeben hatte, wird Ihnen wohl nicht den Rücken gestreichelt (oder: „auf die Schulter geklopft“) und gesagt haben: „Wie gut, dass du Christ geworden bist“.

– Ich bin in Sivas in eine muslimische Familie geboren. Meine Mutter und Geschwister waren Muslime, mein Vater war Atheist. Manchmal glaubte ich an die Existenz Gottes, manchmal fiel ich in Zweifel. Aber meine Sippschaft ist im Allgemeinen extrem religiös. Ich habe sogar gehört, dass einige von ihnen an dem Massaker von Sivas (Anm: Anschlag gegen eine Konferenz von Alewiten, 1993) beteiligt waren. Meine Mutter sagte zu mir: „Mein Sohn, es ist gut, dass du Christ geworden bist, erst danach ist aus dir ein Mann geworden”. Zu meiner Familie habe ich ein ganz besonderes, gutes Verhältnis. Überzeugungen und Ideen haben niemals Probleme bei unserer Beziehung bereitet. Unser Haus ist ein bisschen wie Jerusalem. Wie in Jerusalem verschiedene Religionen beisammen sind, so ist auch unser Haus.

Und welche Reaktionen erhielten Sie aus Ihrer Umgebung?

– Die meinen Vater als Atheisten kannten, sagten: „das war klar, dass aus dem Baum diese Frucht hervorgeht”.

Erhielten Sie religiöse Unterweisung über das Christentum?

– Ich habe die Offene Christliche Theologische Fakultät absolviert und die Bibelschule in Selçuk (bei Ephesus) besucht.

Was steht in Ihrem Ausweis unter „Religion“?

– Ich habe (die Religionsangabe) ändern lassen zu „Christ“. Es war sehr schwierig. Da ich in Antalya der erste war, der die Religion wechselte, wussten sie auf dem Amt nicht so recht, was sie tun sollten. Sie verlangten einen Gerichtsentscheid, ich sagte, die Gerichte würden sich nicht darum kümmern, ich besorgte mir eine Bescheinigung der christlichen Gemeinde und ging wieder hin, sie machten etwas Schwierigkeiten. Nach drei Monaten konnte ich (den Religionseintrag) ändern. Im Feld „Religion“ steht „G. Hrs.“.

Was bedeutet das denn?

– Das sollte bedeuten: „zum Christentum übergetreten“. Sie schrieben nicht einfach „Christ“. Mein Personenregister war in Sivas. Im Fax von dem dortigen Amt wurde aus Platzmangel der Sachverhalt mit „G. Hrs.“ abgekürzt. Der Personenstandsbeamte (in Antalya) hat, auch um mich ein bisschen zu ärgern, statt „Christ“ diese Abkürzung unverändert übernommen.

Sie sind jetzt 28 und haben sich schon auf jeder Bahn, Islam, Atheismus, Christentum, bewegt. Nach 28 kommt noch 38, 48, 58. Sind Sie sicher, dass es in Ihrem weiteren Leben keine weitere Änderung mehr geben wird?

– Mein weltliches Suchen hat in Jesus die Lösung gefunden. Seit 7,5 Jahren bin ich jetzt Christ und jeden Tag fühle ich mich ihm noch näher. Ich studiere auch andere Glaubensformen und Religionen aber ich glaube definitiv, dass das Christentum mein Schlusspunkt ist.

Gut, Sie sind Pastor, aber Sie sind auch ein 28-jähriger junger Mann. Kommen Sie nicht bei Beziehungen zu Frauen ins Wanken?

  … Im christlichen Glauben sind uneheliche Beziehungen Ehebruch …

– Im christlichen Glauben sind uneheliche Beziehungen Ehebruch. Aber in der Ehe natürlich steht eine solche Beziehung frei. Im Christentum ist die Sexualität auch eine Gabe Gottes an den Menschen.

Wenn Sie sich in ein muslimisches Mädchen verlieben würden, würden Sie sie heiraten?

– Im Christentum hat die Heirat mit andersgläubigen Menschen nicht die Zustimmung Gottes. In unserem Leben ist Gott das Wichtigste. Wenn ich das Wichtigste in meinem Leben nicht mit meinem Ehepartner teile, hat diese Ehe keinen Sinn mehr.

Das heißt, Sie stufen Ihre Gefühle herunter und hören auf Ihren Verstand – richtig?

– Ich achte Gefühle durchaus, aber ich bin nicht jemand, der nach Gefühl vorgeht. Der Verstand ist für mich wichtig. Wenn die Bibel etwas nicht gut heißt, halte ich mich davon fern.

Eines werden einige Radikale, die diesen Artikel lesen, sowieso fragen – dann frage ich es gleich. Machen Sie Gehirnwäsche mit den jungen Leuten? Bilden Sie Agenten aus? Treiben Sie Missionsarbeit?

– Was Sie da sagen, sind für uns keine neuen Sachen. In der Bibel sagt Jesus: „Teilt mich mit den Menschen“ (gemeint ist: von Jesus weiter sagen). Mission ist im Wesen des Christentums drin. Eigentlich ist jeder Christ ein Missionar. Aber nicht als Agent, wie es in der Türkei verstanden wird. Weil es uns Jesus so geboten hat, geben wir unseren Glauben an andere weiter. Wir würden niemandem die christliche Botschaft aufzwingen. Wer zuhören will, dem erzählen wir es gern. Weder machen wir Gehirnwäsche, noch missionieren wir in dem Sinne, wie es allgemein verstanden wird.

So offen zu sein, macht sie doch auch zur Zielscheibe. Haben Sie keine Angst?

– Ich habe mit Sicherheit keine Angst. Für mich ist das Leben Christus, und Sterben ist Gewinn (Philipper 1, 21). Wenn ich lebe, lebe ich für Gott, und um Gott den Menschen zu verkünden. Wenn ich sterbe, ist das für mich Gewinn. Ich weiß gewiss, wo ich bei meinem Tod hingehe. Ich glaube, dass ich in den Himmel (bzw. „ins Paradies“) komme.

Als „Tarikat“ – Anhänger wurde er Atheist, und als Atheist wurde er Christ

 

Mein Religionslehrer lenkte mich zur „TARIKAT“ (Sekte, islam.) hin

Als Atheist war mein Vater in Sivas nicht sehr beliebt, dort konnten wir nicht sicher wohnen. Als ich vier Jahre alt war, ließen wir uns als Familie in Kalkan nieder. Ich kannte Islam, wie ich ihn von meiner Mutter und von den Nachbarn gehört hatte. Aber ich wusste nicht genau, was Islam ist. In der „Mittelschule“ (6. -8. Schuljahr im damaligen Schulsystem) war ich ein schlechter Schüler. Mein Religionslehrer lenkte mich auf eine „Tarikat“ (religiöse Sondergemeinschaft, s. Anmerkung am Schluss), damit sie mir beim Religionsunterricht helfen und auch meinen Glauben festigen würden. In der Tarikat kümmerte man sich sehr um mich, ich habe es sehr dort gemocht. Bis zur Lise (etwa: Oberstufe Gymnasium, vgl. franz. Lycée) ging ich jeden Tag zur Tarikat. Alle meine Freunde waren aus islamischem Umfeld.

 

Sie sagten: Das Auge deines Herzens ist verschlossen. Da verliess ich die Tarikat

Nach dem Lise-Schulabschluss (etwa: Abitur) musste ich arbeiten und fing bei einem Gewürzhändler an. Ich fand mich in einem sozialistischen und atheistischen Umfeld wieder. Bei unseren Gesprächen sprachen sie von den Widersprüchen im Koran und verwirrten mich. Um meinen Glauben näher zu erforschen, las ich den Koran. Ich wunderte mich etwas beim Lesen, dachte, es wäre wohl eine schlechte Übersetzung, und las nun den Kommentar eines „Hamdi Yazir von Elmali“. Aber meine Widersprüche konnte ich nicht wegschaffen, in meinem Kopf waren noch Fragen. Ich ging zur Behörde für Religionsangelegenheiten („Diyanet“) und verlangte Aufklärung über meine Widersprüche. Sie mühten sich um mich, beantworteten meine Fragen, aber nach einer Weile schickten sie mich aus Verdruss wieder fort. Ich brauchte zufrieden stellende Antworten. Ich ging wieder zu meiner alten Tarikat und bat um Hilfe. Ich stellte jede Frage, die in meinem Kopf war. Nach einer Zeit sagte mir der Führer der Tarikat, „Du brauchst nicht mehr zu kommen, dein Herzens-Auge ist verschlossen.”. Es gibt im Koran den Vers: „Freund, du kannst ihnen erklären was du willst – sie werden dich nicht verstehen, denn wir haben ihre Herzens-Augen verschlossen“. (Anm: Der Begriff hat in der islamischen Sufi-Mystik auch eine spezielle Bedeutung) Ich ärgerte mich, man mir diesen Vers sagte. Ich sagte, „wenn Allah mir die Augen verschließt, dann lebe ich eben blind”, und ging nicht mehr zur Tarikat.

 

Ich verkaufte Zeitungen für die DHKP

  Ich las nun die Bibel genauer, um seinen Glauben zu widerlegen

Ich war dabei, mich nach und nach vom islamischen Glauben zu entfernen. Ich glaubte an Gott und dann auch wieder nicht. Auch unter dem Einfluss der sozialistischen Bücher, die ich später las, fing ich an, an die Existenz Gottes zu zweifeln. In der Zeit beteiligte ich mich an politischen Aktivitäten. Ich hatte auch Sympathien für die DHKC. Ich verkaufte ihre Zeitung. Ich bekam viel Ärger mit den Ülkücüs, und wurde oft verprügelt. Sex, Alkohol, Flucherei – all das war in meinem Leben. In der Zeit lernte ich einen Christen kennen. Er gab mir ein NT (oder ganze Bibel?). Ich nahm es an, um ihn nicht zu verletzen. Mir war, wie wenn ich Geschichten (Märchen?) gelesen hätte, es kam mir sehr unsinnig vor. Obwohl ich so dachte, fing er an, mir das Christentum zu erklären. Ich fing später an, die Bibel genauer zu lesen, um seinen Glauben zu widerlegen. Ich stellte viele Fragen und wollte ihn damit in Widersprüche bringen. Doch er hatte auf jede meiner Fragen eine überzeugende Antwort.

 

Ich ging hin, um ein Mädchen zu „schnappen“

Eines Tages lud er mich in die Gemeinde ein. Bis dahin war ich noch nie in einer (christlichen) Kirche oder Gemeinde gewesen. Was sie „Kirche“ nannten, war ein Konferenzsaal in einem Hotel. Meine Absicht, um dorthin zu gehen, war nicht, die Bibel zu studieren oder Gott kennen zu lernen. Ich dachte, ich könnte ein ausländisches Mädchen finden, heiraten und auswandern. In der Gemeinde erwies man mir unglaubliche Aufmerksamkeit. Außerdem waren dort auch keine Mädchen. Ihr Verhalten mir gegenüber gefiel mir sehr. Ich nahm an den Gottesdiensten teil und lernte auch mehr über die Bibel.

 

Ich bekehrte mich unter Tränen

Genau in dem Zeitraum wurde ich zum Militär einberufen. Die ersten neun Tage vergingen wie ein Albtraum, ich beschloss zu fliehen. In der Nacht, in der ich fliehen wollte – während ich „Nachtwache schob“ – kamen mir ständig Texte aus der Bibel in den Sinn. Vor dem Depot (Anm.: Lager für Waffen oder Treibstoff oder Munition?) schob ich Wache, ich kniete nieder und fing an zu weinen. In dem Augenblick dachte ich daran, wie schwach ich sei, auf mich selbst gestellt gar nichts. Ich dachte an das Bibelwort, in dem es heißt: „Denn ich kenne ja die Gedanken, die ich über euch denke, spricht der HERR, Gedanken des Friedens und nicht zum Unheil, um euch Zukunft und Hoffnung zu gewähren.“ (Jeremia 29,11) In dem Augenblick dachte ich, Gott würde mich hören, und betete zum ersten Mal nach meiner atheistischen Periode. Mit Weinen bat ich um die Vergebung meiner Sünden. Ich hatte viele Schulden bei Gott. Als ich am nächsten Tag aufwachte, war Friede in mir. Ich fand die Kraft, den Wehrdienst fertig zu leisten. Und seit dem Tag, an dem ich mich damals unter Tränen bekehrte, bin ich Christ.

Schlussbemerkung:

Dieses Interview erschien vor einiger Zeit in der größten Tageszeitung der Türkei. Es wurde allerdings als Kopie von einer türkischen christlichen Website (http://www.hristiyanforum.com) übernommen, sowie aus der Website der von Ramazan geleiteten Gemeinde in Antalya. In Leserzuschriften an „Hristiyanforum“ bekennen ein paar Leser, durch Ramazan geistlich gesegnet, eine Bibel bekommen, getauft worden. zu sein. Ein Bezug auf seine spätere Hochzeit (er ist inzwischen verheiratet) kam auch vor.

 

Orientierung 2002-05; 15.02.2000…

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