Scheidung im Islam
Zwar überliefert die Tradition, dass Mohammed die Scheidung als die verwerflichste aller erlaubten Handlungen bezeichnet habe: „Was Gott unter den erlaubten Dingen am meisten hasst, ist die Scheidung.“ Dennoch konnte in islamischer Zeit der Mann relativ einfach die Scheidung erwirken durch die einseitige Verstoßung der Frau. Das geschieht, im traditionellen Kontext, mit dem dreimaligen Aussprechen der Formel „Ich verstoße dich“.
Spricht der Ehemann die Formel nur einmal oder zweimal aus, ist die Scheidung widerruflich. Er kann seine Frau vor Ablauf einer dreimonatigen Wartefrist (arab. `idda), in der sich eine mögliche Schwangerschaft herausstellt, wieder zu sich zurückholen, was einer Aufhebung der vorläufigen Scheidung gleichkommt.
Ist die Scheidungsformel jedoch dreimal ausgesprochen worden, kann der Mann diese Frau erst wieder heiraten, wenn sie in der Zwischenzeit Frau eines anderen Mannes gewesen und wiederum von diesem geschieden worden ist (Sure 2,228-230). Diese Regelung der dreifachen Scheidungsformel diente eigentlich dem Schutz der Frau, um sie vor leichtfertigen Scheidungen zu bewahren, die durch ein einmaliges Aussprechen der betreffenden Worte, etwa im Ärger, Rausch oder Spaß, eine Rückgängigmachung der Scheidung verhindern würde. Dennoch bleibt die Scheidung ein vergleichsweise unkompliziertes Verfahren für den Ehemann, zumal er für die Verstoßung der Ehefrau keine Gründe anzuführen und niemand Rechenschaft abzulegen braucht. Trotzdem wird eine Scheidung im allgemeinen gesellschaftlichen Kontext als negativ betrachtet.
Für die Frau ergibt sich im Anschluss an die Scheidung das Problem ihrer Versorgung, das umso schwerer wiegt, wenn ihr Brautgeld von geringer Höhe war und ihre Eltern nicht begütert sind. Aber auch der Mann gewinnt durch die Scheidung nichts, da er weiter für seine Kinder sorgen muss. Wenn er wieder heiratet, muss er für zwei Familien sorgen. Deshalb werden beide beteiligte Familien immer erst versuchen, die Ehepartner miteinander zu versöhnen. Dazu fordert auch der Koran auf: „Und wenn ihr fürchtet, dass es zwischen einem Ehepaar zu einem Zerwürfnis kommt, dann bestellt einen Schiedsrichter aus seiner und einen aus ihrer Familie, zu vermitteln. Wenn die beiden sich dann aussöhnen wollen, wird Gott ihnen zu ihrem Zusammenleben in der Ehe Gelingen geben.“ (Sure 4,35)
Heute verlangt das Gesetz in den meisten islamischen Ländern eine gerichtliche Scheidung, in deren Verlauf Gründe für das Scheitern der Ehe erörtert werden. Vorher muss ein Versöhnungsversuch stattgefunden haben. Ein besonders häufiger Scheidungsgrund ist Kinderlosigkeit.
Scheidung durch die Frau
In den meisten Ländern kann auch die Frau eine Scheidung erwirken. Dafür muss sie aber immer einen Gerichtsprozess anstrengen und kann ihren Mann niemals verstoßen. Dies bleibt das Vorrecht des Mannes. Die Frau muss, um eine Auflösung ihrer Ehe vor Gericht betreiben zu können, stichhaltige Gründe anführen, die im islamischen Recht genau definiert und stark begrenzt sind.
Der wichtigste Grund, den sie anführen kann, ist für sie die Versäumnis seiner Unterhaltspflicht. Auch eine mehrjährige Abwesenheit des Mannes, fortwährende Impotenz, ansteckende, ekelerregende Krankheiten, länger währende Gefängnisstrafen oder eine dauerhafte sexuelle Vernachlässigung sind ernsthafte Scheidungsgründe. Auch besondere Grausamkeit des Ehemannes kann die Scheidung herbeiführen. Das Zerrüttungsprinzip findet ebenfalls heute bei Scheidungen Anwendung.
Weitere Scheidungsmöglichkeiten
Außer durch einen Prozess kann die Frau nach Sure 2,229 ihrem Mann zumindest einen Teil ihres Besitzes überlassen und sich damit gewissermaßen freikaufen (arab. Hul`). Allerdings muss der Ehemann in diesem Fall zustimmen, denn die Frau hat keinen Rechtsanspruch darauf.
Wenn der Mann schwört, vier Monate keinen Verkehr mehr mit seiner Frau zu haben, wird das wie eine Scheidung behandelt.
Kommt es zur Scheidung, wird das Scheitern der Ehe vor allem der Frau angelastet. Weil von ihr erwartet wird, dass sie so weit wie möglich die Ehe und ihre Familie zusammenhält, sich den Anordnungen fügt und nicht durch Widerspruch seinen Zorn herausfordert.
Nach der Scheidung
Zur Feststellung einer eventuellen Schwangerschaft beginnt für die Frau nach der Scheidung die Wartezeit (arab. ´idda). Während der üblicherweise dreimonatigen Wartezeit ist der Mann unterhaltspflichtig, danach allerdings nicht mehr. Daher wird die Frau in ihre Herkunftsfamilie zurückkehren, die sie zu einer baldigen erneuten Heirat drängen mag. Ist sie bereits älter, kann sie eventuell bei einem erwachsenen Sohn unterkommen, der dann verpflichtet ist, für sie zu sorgen.
Kinder aus einer geschiedenen Ehe gehören nach islamischem Recht grundsätzlich zum Vater. Die Mutter erhält allerdings meistens das Recht, sie in den ersten Jahren zu betreuen und später auch zu besuchen. Jungen bleiben meistens nicht länger als bis zum siebten Lebensjahr, Mädchen höchstens bis zum zehnten Lebensjahr bei ihr.
Ehe aus christlicher Sicht
Das Verständnis der Rolle der Frau und das Wesen der islamischen Ehe unterscheiden sich fundamental von der biblisch-christlichen Ehe. Bei der islamischen Eheschließung wird kein Eid auf die lebenslange Gemeinschaft und gegenseitige Treue gegeben. Die muslimische Ehe rechnet bereits durch die Absicherung der Braut mit der Abendgabe in gewissem Sinn mit der Möglichkeit der späteren Scheidung.
Die islamische Ehe ist ein zivilrechtlicher Vertrag, der zwischen zwei Familien geschlossen wird. Sie ist kein von Gott gesegnetes lebenslanges Bündnis mit beiderseitiger Eidesverpflichtung. Die Ehefrau erhält kein Treueversprechen von ihrem Mann.
Während im biblischen Rahmen die geistig-geistliche Gemeinschaft der Ehepartner in ihrer Beziehung zu Gott und der gegenseitigen Ergänzung zweier wesensmäßig verschiedener Menschen im Mittelpunkt des Ehegedankens steht, spricht der Koran nirgends ausdrücklich darüber. Der Grund liegt meines Erachtens letztlich im Gottesbild des Islams.
Beitrag von Christine Schirrmacher, vom Redaktionsteam gekürzt. Erschienen in Orientierung: M #spezial 1-2023