Türkischsprachige Gemeinden in Bulgarien

Ein kurzer Bericht über ihre Entstehung, Entwicklung und heutige Lage.

Von den 7,5 Mio. Einwohnern Bulgariens gehören 1,9 Mio. zu ethnischen Minderheiten. Die größten Minderheiten sind: Türken (700.000), Millet (400.000), Roma-Zigeuner (400.000) und Pomaken (250.000). Außer den Türken (s.o.) sind auch die Tataren (30.000, ohne Christen), und Gagausen (40.000, orthodoxe Christen) Türkisch-sprachig. Die Türken (s.o.) sind Nachfahren umgesiedelter anatolischer Bauern aus dem 14. Jh. und nennen sich „Temiz Türkler“ (reinrassige Türken). Unter ihnen gibt es weniger als 100 Konvertiten.

Als letzte türkischsprachige Gruppe sind die Millet (s.o.) zu nennen: „türkifizierte Roma“, also Zigeuner, die unter der Osmanenherrschaft sesshaft wurden, Türkisch lernten und den Islam annahmen. Unter ihnen kam es ab 1990 zu einer Bekehrungswelle von ca. 10.000 Personen und zur Bildung von ca. 200 Gemeinden. Und das ohne Zutun von Missionaren oder bulgarisch-christlichen Gemeinden. Das ist bis heute ein Rätsel und ein Wunder Gottes.

In dieser Erweckungsbewegung herrschte ein gravierender Mangel an biblischer Lehre. Durch Erfahrungen, Träume und Heilungen wollte man den Mangel ausgleichen. Millet-Gemeinden entstanden quasi über Nacht, und die ungeschulten Leiter waren niemand Rechenschaft schuldig und entwickelten sich zu „Alleinherrschern“.

Durch den Druck der noch nicht völlig entmachteten Kommunisten von 1991 bis 1997 wurde ein neues Religionsgesetz erlassen. Dieses zwang die evangelikalen Gemeinden, sich bestehenden Denominationen anzuschließen. Die türkischen Gemeinden wurden von bestehenden bulgarischen Denominationen aufgenommen, ohne geistlich betreut zu werden. Den türkischen Leitern fehlte sehr oft eine biblische Ausbildung und der biblisch geforderte moralische Standard. Ausländischen Missionen wurden diese Männer als Gemeindeleiter vorgestellt, die ihnen nur allzu gern vertrauten und Finanzen freigaben, was später zu einer passiven Erwartungshaltung führte und das Gemeindewachstum behinderte.

Das fehlende geistliche Fundament, die Vernachlässigung von Gemeindezucht (bei Ehebruch und Eigenverwendung von Spendengeldern) und der Mangel an geschulten, hingegebenen Leitern führten seit 2000 zu einem Zusammenbruch der Bewegung. Viele Enttäuschte bleiben zurück, und manche vorbildliche Gläubige wurden von alleinherrschenden Leitern – aus Angst vor Konkurrenz – aus Gemeinden ausgeschlossen. Von den 10.000 Gläubigen gibt es noch ca. 3.000 in nur noch ca. 100 Gemeinden. Eine Frömmigkeit, die hauptsächlich auf Erfahrungen und Heilungen aufgebaut ist, ist langfristig zum Scheitern verurteilt.

Versuchte Re-Islamisierung und Radikalisierungs-Bemühungen, auch aus der Türkei, führten weniger zur Islamisierung der Millet-Türken, als vielmehr zu einer verstärkten Identifikation mit der Türkei und dem Türkentum im Allgemeinen. Konvertiten sehen sich deshalb zunehmend sozialer Ablehnung gegenüber. Christ zu sein, erfordert damit eine ganz andere geistliche Grundhaltung als bisher.
Bemühungen sollten dahin gehen, dass Gemeinden möglichst von einem Ältesten-Gremium geleitet werden. Missionare können dabei als stabilisierende Ruhepole schlichtend unter den Mitarbeitern helfen. Eine theologische Ausbildungsstätte in Türkisch, Kinder-, Jugend- und Frauenarbeit und die Vernetzung unter den Gemeinden sind noch große Aufgabenfelder.

Orientierung 2013-04; 05.09.2013
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